Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
nach Hause. Dort hat er sie zusammengeschlagen und ihr eine Pistole an die Schläfe gehalten und gedroht, wenn sie nochmal abhaut, bringt er sie um. Und dass er jeden Mann erschießt, für den sie sich interessiert. Und sie hat ihm geglaubt, denn zu dem Zeitpunkt wusste sie schon, dass er verrückt ist. Aber sie saß in der Falle. Er gab ihr nie Geld, er verbot ihr, aus dem Haus zu gehen. Während seiner Arbeitszeit fuhr er immer wieder mit dem Auto am Haus vorbei, um sich zu vergewissern, dass sie da war. Er überwachte das Telefon und startete dauernd Kontrollanrufe, und er erlaubte ihr nicht, den Führerschein zu machen. Als sie einmal mitten in der Nacht aufwachte, sah sie, dass er an ihrem Bett stand und sie anstarrte. Er hatte getrunken und hielt wieder die Pistole in der Hand, und sie hatte so maßlose Angst, dass sie sich nicht traute, irgendetwas zu sagen. Stattdessen forderte sie ihn auf, zu ihr ins Bett zu kommen. Aber in dem Moment war ihr klar, wenn sie blieb, dann würde ihr Mann sie irgendwann töten.«
Katie wischte sich die Augen. Ihre Finger waren nass von den salzigen Tränen. Sie konnte nicht richtig atmen, aber der Strom der Worte war nicht mehr aufzuhalten. »Sie fing an, Geld aus seiner Brieftasche zu stehlen. Nie mehr als ein, zwei Dollar. Sonst hätte er ja etwas gemerkt. Normalerweise schloss er sein Geld nachts irgendwo ein, aber manchmal vergaß er es auch. Es dauerte sehr lange, bis sie genug Geld beisammenhatte, um zu fliehen. Aber sie musste es schaffen. Sie musste diesem Mann entkommen. Sie musste irgendwohin gehen, wo er sie nicht finden würde. Denn sie wusste, dass er nie aufhören würde, sie zu suchen. Und sie konnte keiner Menschenseele von ihren Plänen erzählen, weil sie keine Familie mehr hatte. Dass die Polizei nicht rechtzeitig eingreifen würde, war sonnenklar. Wenn ihr Mann auch nur den geringsten Verdacht schöpfte, würde er sie umbringen. Also stahl sie und sparte das Geld, auch die Münzen, die sie zwischen den Sofakissen und in der Waschmaschine fand. Sie sammelte alles in einer Plastiktüte, die sie unter einem großen Blumentopf versteckte, und jedes Mal, wenn er nach draußen ging, hatte sie Angst, er könnte die Tüte entdecken. Es dauerte ewig, bis sie genug Geld zusammengespart hatte, weil sie weit fort musste, um für ihn außer Reichweite zu sein. Damit sie einen richtigen Neuanfang machen konnte.«
Katie hatte es zuerst nicht gemerkt, aber jetzt fiel ihr auf, dass Jo ihre Hand hielt und sie nicht mehr nur von weitem beobachtete. Sie schmeckte das Salz der Tränen auf den Lippen. Vielleicht dringt meine ganze Seele nach außen, dachte sie. Und sie hatte nur noch einen Wunsch: Sie wollte schlafen.
»Deine Freundin hat sehr viel Mut«, sagte Jo leise und schaute ihr fest in die Augen.
»Nein«, erwiderte Katie. »Meine Freundin hat die ganze Zeit nur Angst.«
»Das ist manchmal das Gleiche wie Mut. Wenn sie keine Angst gehabt hätte, dann hätte sie auch keinen Mut gebraucht. Ich bewundere sie sehr für das, was sie getan hat.« Jo drückte Katies Hand. »Ich glaube, sie würde mir gut gefallen. Danke, dass du mir von ihr erzählt hast.«
Katie wandte den Blick ab. Sie war vollkommen erschöpft. »Ich hätte dir das gar nicht erzählen sollen.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Mit der Zeit wirst du merken, dass ich Geheimnisse sehr gut für mich behalten kann. Vor allem Geheimnisse von Leuten, die ich nicht kenne.«
Katie nickte. »Ich verstehe.«
Ihre neue Nachbarin blieb noch eine Stunde, aber sie sprachen jetzt über leichtere Themen. Katie erzählte von ihrer Arbeit im Ivan’s und von verschiedenen Gästen, die sie schon besser kannte. Jo wollte wissen, wie sie die Malerfarbe unter den Fingernägeln loswerden konnte. Die Weinflasche war leer, und Katies Schwips ließ nach. Jetzt fühlte sie sich vor allem ausgelaugt. Jo begann auch schon zu gähnen, und schließlich beschlossen sie, den Abend zu beenden. Jo half noch beim Aufräumen, obwohl ja nicht viel mehr zu tun war, als die zwei Becher auszuspülen. Dann begleitete Katie ihre Freundin zur Tür.
Als Jo auf die Veranda trat, blieb sie verdutzt stehen. »Oh, ich glaube, wir hatten Besuch.«
»Wie meinst du das?«
»An deinem Baum lehnt ein Fahrrad.«
Katie ging auch nach draußen. Jenseits der erleuchteten Veranda war die Welt sehr dunkel, und die Umrisse der weiter entfernten Bäume erinnerten Katie an den gezackten Rand eines schwarzen Lochs. Glühwürmchen wetteiferten mit den
Weitere Kostenlose Bücher