Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
gelockert hatte.
Aber was war in ihrer Vergangenheit geschehen, worüber sie nicht sprechen konnte? Er hätte es so gern erfahren! Und auch sonst wusste er so gut wie nichts über sie. Welche Art von Musik hörte sie? Woran dachte sie als Erstes, wenn sie morgens aufwachte? War sie schon mal bei einem Baseballspiel gewesen? Er hätte gern gewusst, ob sie auf dem Rücken oder auf der Seite schlief und ob sie lieber duschte oder ein Bad nahm. Und je mehr er über Katie nachdachte, desto neugieriger wurde er.
Er wollte, dass sie ihm vertraute und ihm die Ereignisse aus ihrer Vergangenheit erzählte. Nicht, weil er sich einbildete, dass er sie irgendwie retten könnte, und auch nicht, weil er das Gefühl hatte, dass sie überhaupt gerettet werden musste. Sondern weil er davon überzeugt war, dass sie, wenn sie offen über ihre Vergangenheit zu sprechen wagte, endlich auch die Tür zur Zukunft öffnen konnte. Und dann erst konnten sie richtig miteinander reden.
Am Donnerstag überlegte er schließlich, ob er bei ihr vorbeifahren sollte. Er hätte es sehr gern getan, und einmal hielt er schon die Autoschlüssel in der Hand, überlegte es sich dann aber doch anders, weil er nicht wusste, was er zu ihr sagen sollte. Und er hatte ja auch nicht die geringste Ahnung, wie sie reagieren würde. Mit einem freundlichen Lächeln? Oder nervös? Würde sie ihn auffordern, hereinzukommen, oder ihn bitten, gleich wieder zu gehen? Alex konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was passieren würde, und deshalb hatte er die Schlüssel wieder fortgelegt.
Es war alles so kompliziert! Und Katie war eine sehr rätselhafte Frau, so viel war sicher.
Es dauerte nicht lange, bis Katie zugeben musste, dass das Fahrrad ihrem Leben tatsächlich eine neue Qualität verlieh. Sie konnte jetzt zwischen zwei Schichten kurz nach Hause fahren, und außerdem hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, die Stadt erkunden zu können. Und das tat sie auch. Am Dienstag schaute sie sich in zwei Antiquitätenläden um, begutachtete die Aquarelle in der Kunstgale rie – die meisten waren Meerespanoramen –, radelte durch ihr unbekannte Viertel und bewunderte die großzügigen Veranden und die Säulengänge, mit denen sich die historischen Gebäude in der Nähe des Wassers schmückten. Am Mittwoch ging sie in die Bibliothek und verbrachte ganze zwei Stunden damit, die Regale zu inspizieren und die Klappentexte von Büchern zu lesen, und sie nahm in ihrem Fahrradkorb ein paar Romane mit, die sie dringend lesen wollte.
Wenn sie jetzt abends im Bett lag und las, merkte sie, wie ihre Gedanken manchmal zu Alex wanderten. Sie musste auch an ihre Kindheit in Altoona denken, und ihr wurde bewusst, dass Alex sie an den Vater ihrer Freundin Callie erinnerte. Callie wohnte im vorletzten Schuljahr in derselben Straße wie sie, und obwohl sie einander nicht besonders gut kannten – Callie war zwei Jahre jünger als sie –, war Katie am Samstagvormittag oft bei ihr zu Besuch. Sie saßen auf der Veranda, und jedes Mal kam Callies Vater aus der Garage und schob pfeifend den Rasenmäher über die Wiese. Man konnte die Uhr danach stellen. Er war sehr stolz auf seinen Garten – der mit Abstand der am besten gepflegte in der ganzen Umgebung war –, und Katie schaute fasziniert zu, wie er mit militärischer Präzision den Rasenmäher hin und her schob. Zwischendurch blieb er immer wieder stehen, um einen heruntergefallenen Zweig aufzuheben, und meistens wischte er sich dann auch noch mit einem Taschentuch, das in seiner hinteren Hosentasche steckte, den Schweiß von der Stirn. Wenn er mit dem Mähen fertig war, lehnte er sich an die Kühlerhaube seines Ford, der in der Einfahrt stand, und trank ein Glas Limonade, das seine Frau ihm brachte. Manchmal blieb sie für eine Weile bei ihm. Katie fand es lustig, dass er seiner Frau den Hintern tätschelte, wenn er ihre Aufmerksamkeit haben wollte.
Er wirkte in diesen Momenten zufrieden mit sich und der Welt, und Katie dachte damals schon, dass er bestimmt glücklich war mit dem Leben, das er führte, und dass alle seine Träume in Erfüllung gegangen waren. Sie fragte sich oft, wie ihr eigenes Leben aussehen würde, wenn sie in diese Familie geboren worden wäre.
Alex strahlte dieselbe Zufriedenheit aus, wenn seine Kinder da waren. Er hatte es anscheinend nicht nur geschafft, die Tragödie, die der Tod seiner Frau zweifellos für ihn bedeutete, irgendwie zu verarbeiten, sondern hatte auch die Kraft gefunden, seinen
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