Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
geliebt!«, rief sie dabei schluchzend. »Du hast mir versprochen, dass du mich nie wieder schlägst, und ich habe dir geglaubt. Ich wollte dir so gern glauben.« Als alle Haare einigermaßen gleich kurz aussahen, holte sie die Farbe aus dem Versteck unter dem Waschbecken. Dunkelbraun. Sie stellte sich in die Dusche, feuchtete die Haare an und massierte die Farbe ein. Und während sie einwirkte, stand Erin vor dem Spiegel und weinte hemmungslos. Als die vorgeschriebene Zeit abgelaufen war, spülte sie die Farbe unter der Dusche aus, wusch die Haare dann noch mit Shampoo und Conditioner und stellte sich wieder vor den Spiegel. Sorgfältig bearbeitete sie die Augenbrauen mit Mascara, damit sie nicht so hell waren. Als nächsten Schritt trug sie Selbstbräuner auf, damit ihre Haut dunkler wurde. Zum Schluss zog sie Jeans und einen Pullover an – und begutachtete sich im Spiegel.
Eine Fremde mit kurzen dunklen Haaren blickte ihr entgegen.
Pedantisch putzte sie anschließend das Bad. Nirgends durfte ein Härchen herumliegen, weder auf dem Fußboden noch in der Dusche. Alles wanderte in den Müllsack. Sie wischte das Waschbecken und das Regal peinlich sauber und band den Müllsack zu. Als Letztes benutzte sie Augentropfen, damit man ihr nicht ansehen konnte, dass sie geweint hatte.
Allmählich musste sie sich beeilen. Sie packte ihre Sachen in einen Reisebeutel, zwei Jeans, zwei Pullover, zwei T-Shirts. Unterhosen, BH s. Socken. Zahnbürste, Zahncreme. Eine Bürste. Mascara für die Brauen. Die wenigen Schmuckstücke, die sie besaß. Käse und Cracker, Nüsse und Rosinen. Eine Gabel, ein Messer. Dann holte sie das Geld, das sie auf der hinteren Veranda unter dem Blumentopf versteckt hatte. Das Handy. Und schließlich noch die Papiere, die sie brauchte, um ein neues Leben beginnen zu können. Papiere, die sie von Menschen gestohlen hatte, die ihr vertrauten. Es war ihr schrecklich unangenehm, dass sie einen Diebstahl begangen hatte, sie wusste, dass es falsch war, aber sie hatte keine andere Wahl gehabt und bat Gott innerlich um Verzeihung. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Sie hatte das Szenario tausendmal durchgespielt. Die meisten Nachbarn waren bei der Arbeit. Morgens hatte sie immer alle beobachtet und kannte ihren Tagesablauf. Erin wollte nicht, dass irgendjemand beobachtete, wie sie das Haus verließ, sie wollte nicht, dass irgendjemand sie erkannte.
Sie setzte eine Mütze auf und zog ihre Jacke an, außerdem Schal und Handschuhe. Dann nahm sie den Reisebeutel, stopfte ihn unter ihren Pullover und drückte so lange daran herum, bis er einigermaßen rund wirkte. Bis sie schwanger aussah. Sie zog ihren langen Mantel über, der weit genug war, um die Wölbung zu umhüllen.
Wieder begutachtete sie sich im Spiegel. Kurze, dunkle Haare. Braune Haut. Schwanger. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, und bevor sie aus dem Haus ging, machte sie ihr Handy an und stellte das Telefon auf Rufumleitung. Sie verließ den Garten durch das Seitentor, ging zwischen ihrem Haus und dem der Nachbarn hindurch, immer am Zaun entlang. Mit einer schnellen Bewegung warf sie ihre Mülltüte in die Tonne der Nachbarn. Sie wusste, dass beide arbeiteten und deswegen nicht zu Hause waren. Für das nächste Haus galt das Gleiche. Erin durchquerte rasch ihren Garten und ging seitlich am Haus entlang, bis sie endlich den vereisten Gehweg betrat.
Es hatte wieder angefangen zu schneien. Morgen, das wusste sie, waren ihre Fußspuren längst verschwunden.
Sie musste gut einen halben Kilometer gehen. Mit gesenktem Kopf setzte sie einen Fuß vor den anderen, versuchte, den beißenden Wind zu ignorieren. Sie fühlte sich benommen, frei, verängstigt – alles gleichzeitig. Morgen Abend würde Kevin durch das Haus gehen und sie suchen, nach ihr rufen, aber er würde sie nicht finden, weil sie nicht mehr da war. Und morgen Abend würde er beginnen, sie zu jagen.
Schnee wirbelte durch die Luft, als Katie an der Kreuzung stand, direkt vor einem Restaurant. In der Ferne sah sie, wie der blaue Shuttle-Bus um die Ecke bog. Ihr Herz klopfte. Genau in dem Moment klingelte ihr Handy.
Sie wurde totenblass unter ihrer Bräune. Autos fuhren vorbei, man hörte, wie sie zischend durch den Schneematsch rollten. Der blaue Bus wechselte die Spur und kam auf ihre Seite der Straße. Sie musste den Anruf annehmen. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Aber der Bus näherte sich unaufhaltsam, und der Straßenlärm war nicht zu überhören. Wenn sie jetzt abnahm, wusste er
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