Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
Katie wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Pläne hatten immer nur bis hierher geführt, bis zur Busfahrt, und es gab niemanden, den sie um Hilfe bitten konnte. Sie war allein und besaß nichts außer den paar Habseligkeiten, die sie bei sich trug.
Eine Stunde vor Philadelphia klingelte ihr Handy wieder. Sie versuchte, das Handy gegen Geräusche abzuschirmen, und unterhielt sich mit ihm. Bevor er auflegte, kündigte er noch an, dass er sie anrufen werde, bevor er ins Bett ging.
Am späten Nachmittag erreichten sie Philadelphia. Es war kalt, aber es schneite nicht. Die Passagiere stiegen aus, aber Katie wartete, bis alle draußen waren. Auf der Toilette holte sie die Reisetasche unter dem Pullover hervor, ging dann in den Wartesaal und setzte sich auf eine Bank. Ihr Magen knurrte, deshalb aß sie ein Stückchen Käse und zwei Cracker. Ihr war klar, dass sie ihre Vorräte streng dosieren musste, also packte sie den Rest sorgfältig fort, obwohl sie gern noch mehr gegessen hätte. Immerhin hatte sie wieder etwas im Magen. Sie kaufte sich einen Stadtplan und ging nach draußen.
Der Busbahnhof befand sich in der Innenstadt. Sie sah das Kongresszentrum und das Trocadero-Theater. Hier fühlte sich Katie sicher, aber es bedeutete auch, dass sie sich hier in der Nähe kein Hotelzimmer leisten konnte. Dem Stadtplan entnahm sie, dass sie nicht weit von Chinatown entfernt war, und weil ihr nichts Besseres einfiel, ging sie in diese Richtung.
Drei Stunden später hatte sie endlich ein Zimmer gefunden. Es war ziemlich schmuddelig und roch verraucht, und selbst das schmale Bett hatte kaum Platz darin. Eine richtige Lampe gab es nicht, nur eine nackte Glühbirne unter der Decke. Bad und Toilette befanden sich auf dem Flur und gehörten zu mehreren Zimmern. Die Wände waren grau und hatten Wasserflecken. Die Fenster waren vergittert. Aus den Zimmern rechts und links von ihrem hörte sie Stimmen. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die sie nicht verstand. Aber etwas Luxuriöseres konnte sie sich nicht leisten. Ihr Geld reichte für drei Nächte und zur Not auch für vier, wenn sie sich nichts zu essen kaufte und nur die Sachen aß, die sie dabeihatte.
Zitternd setzte sie sich auf die Bettkarte. Sie hatte solche Angst: vor dem Zimmer, vor der Zukunft … In ihrem Kopf drehte sich alles, sie musste zur Toilette, wollte aber das Zimmer nicht verlassen. Sie versuchte sich einzureden, das Ganze sei ein spannendes Abenteuer. Alles wird gut, sagte sie sich. Auch wenn es noch so verrückt klang – sie fragte sich allen Ernstes, ob das Ganze vielleicht doch ein Fehler war. Krampfhaft bemühte sie sich, nicht an die Küche und das Schlafzimmer zu denken und an all die Dinge, die sie zurückgelassen hatte. Klar, sie konnte eine Rückfahrkarte nach Boston kaufen. Sie wäre wieder zu Hause, bevor Kevin zurückkam. Er würde gar nicht merken, dass sie fort gewesen war. Aber sie hatte kurze dunkle Haare und keine plausible Erklärung dafür.
Die Sonne war längst untergegangen, aber die Straßenlaternen schienen durch das schmutzige Fenster. Draußen hupte ein Auto. Katie schaute hinaus. Alle Schilder auf Chinesisch. Manche Geschäfte hatten noch geöffnet. Stimmen in der Dunkelheit. Am Straßenrand stapelten sich Plastiksäcke mit Müll. Sie war in einer Stadt, die sie nicht kannte, umgeben von lauter Fremden. Ich kann das nicht, dachte sie . Ich bin nicht stark genug. In drei Tagen hatte sie keine Unterkunft mehr, es sei denn, sie fand einen Job. Wenn sie ihren Schmuck verkaufte, gewann sie vielleicht noch einen weiteren Tag. Aber was dann?
Sie war todmüde. Ihr Kreuz tat weh. Sie legte sich aufs Bett und schlief sofort ein. Das Klingeln ihres Handys weckte sie wieder auf. Sie musste sich sehr zusammenreißen, damit ihre Stimme normal klang. Nachdem sie aufgelegt hatte, war sie augenblicklich wieder eingeschlafen.
Am Morgen hörte sie draußen auf dem Flur Leute, die zu dem gemeinsamen Badezimmer gingen. Sie folgte ihnen. Zwei Chinesinnen standen an den Waschbecken und unterhielten sich. An den Wänden sah man grünen Schimmel, und nasses Toilettenpapier lag auf dem Fußboden. Die Tür von Katies Kabine konnte man nicht verriegeln. Sie musste sie mit der Hand zuhalten.
Im Zimmer aß sie Käse und Cracker zum Frühstück. Wie gern hätte sie geduscht, aber sie stellte jetzt erst fest, dass sie vergessen hatte, Shampoo und Seife einzupa cken. Sie zog frische Kleider an, putzte sich die Zähne und kämmte sich. Dann packte sie ihren
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