Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
ausgesprochen, und die Welt war nicht untergegangen. Der Blitzschlag hatte sie nicht getroffen. Die Erde hatte sich nicht geöffnet und sie verschlungen.
Wieso war dieser Gedanke eigentlich absurd?
Er war sinnvoll. Sie brauchte Jake, damit er ihre Ranch führte. Er brauchte die Ranch. Plum Creek versprach ihm eine vernünftige Zukunft. Jahrelang war er umhergewandert, hatte sein Talent vergeudet und seine Jugend mit einer ziellosen Suche verbracht. Eine Gelegenheit wie diese würde sich nicht wieder bieten. Warum sollte er sie nicht ergreifen?
Offensichtlich hatte er nicht vor, jemand anders zu heiraten. Banner wusste, wen er wirklich liebte. Aber Lydia war unerreichbar und würde es immer sein. Trotzdem war Jake ein Mann. Er brauchte eine Frau, oft, und wenn der Kuss heute Nachmittag und jene Nacht in der Scheune irgendeinen Hinweis boten, schien Banner für ihn durchaus die Richtige zu sein.
Sie hätten keine Probleme damit, das Ehebett zu teilen. Es auf intime Weise zu teilen. Daran gab es keinen Zweifel. Außerdem würden sie beide Kinder wollen.
Bei dem Gedanken, Nacht für Nacht mit Jake zu schlafen, wurde ihr am ganzen Körper heiß. Sie konnte also durchaus Leidenschaft empfinden. Sollte sie sich deshalb schämen? Ihre Eltern hatten sie etwas anderes gelehrt. Aber sie hatten ihr auch beigebracht, dass diese Leidenschaft auf die Ehe beschränkt sein sollte.
Es wäre lächerlich, so zu tun, als hätte sie Jakes Kuss nicht genossen. Sogar ein bisschen mehr als nur genossen. Sie hatte nicht gewollt, dass er aufhörte. Wenn Jake sie ins Schlafzimmer geführt hätte, wäre sie frohen Herzens mitgegangen, und es hatte keinen Zweck, sich einzureden, dass sie es nicht getan hätte – trotz der Lektionen in Moral, die sie von klein auf gelernt hatte.
Instinktiv hatte sie gespürt, dass beim ersten Mal etwas knapp außerhalb ihrer Reichweite gelegen hatte. Es war frustrierend, sich zu fragen, was Jakes Körper so heftig hatte zittern lassen, bevor er vor Zufriedenheit so schwach wurde, dass er sich kaum rühren konnte. Sie selbst hatte sich erhitzt und unruhig gefühlt, begierig auf etwas, das sie nicht benennen konnte. Und wenn aus keinem anderen Grund, so wäre sie Jake heute ins Bett gefolgt, um herauszufinden, was dieses Etwas war.
Sie war nicht in ihn verliebt. Oder doch? Er war nicht derjenige, den sie sich als Ehemann ausgesucht hätte, aber auf andere Weise hatte sie ihn stets geliebt. Diese früheren Gefühle auf ihre neuen Empfindungen zu übertragen war jetzt ihr Problem.
Das und die Einsamkeit ihres Lebens. Sie konnte sich an die Einsamkeit nicht gut gewöhnen. Jede Nacht, wenn Jake sich in die Scheune zurückzog und sie im Haus alleine ließ, wurde sie von Verzweiflung ergriffen. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie mit Jake im Wohnzimmer saß, er rauchte seine Zigarren, während sie seine Hemden flickte. Zugegeben, dieses Bild war eine Farce häuslichen Lebens, aber es veranschaulichte, wie sehr sie sich nach der Nähe zu einem Mann sehnte. Jake konnte nicht weniger einsam sein als sie.
Sie wusste, dass sie, was Männer anbelangte, ihren Nachstellungen ausgesetzt war. Wenn Randy nicht versuchte, sie zu verführen – und sie wusste, obwohl sie es Jake gegenüber geleugnet hatte, dass der Cowboy bereits vor dem Vorfall mit der Raupe mit ihr geflirtet hatte –, wäre es ein anderer.
Schließlich würde sie aus Einsamkeit vielleicht nachgeben. Ein anderer Mann wäre nicht so bedacht auf ihren Ruf wie Jake. Ein anderer Mann würde damit prahlen, bis ihr Vater Wind davon bekam und ihn töten müsste. Man würde ihr die Schuld geben, die ganze Familie in Schande und Gesetzlosigkeit getrieben zu haben.
Oder, wenn sie das Glück hatte, jemanden zu finden, den sie genug liebte, um ihn zu heiraten, würde er entdecken, dass sie nicht unberührt war. Solch eine Enttäuschung wäre ein verheerender Beginn für eine Ehe. Nein, sie konnte niemanden außer Jake heiraten.
Und schließlich hatte sie auch Angst, dass eines Tages ein Streit damit enden würde, dass Jake ging. Vor ihrem inneren Auge stieg ein entsetzlich trostloses Bild davon auf. Sie wollte nicht, dass ihr das so viel ausmachte, aber so war es nun einmal. Sie sah vor sich, wie sie ihm auf der Straße mit tränenüberströmtem Gesicht nachrannte, genau wie als Kind, und ihn anflehte, nicht zu gehen.
Daran zu denken, konnte sie auch nicht ertragen.
Wenn sie also nicht wollte, dass er völlig aus ihrem Leben verschwand, auf der anderen Seite aber
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