Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit, das stillschweigende Angebot, dass er in ihr Bett kommen konnte, wenn er wollte. Was für ein blinder Idiot war er bloß gewesen!
Beinahe hätte es geklappt. Wenn Lydia nicht ausgerechnet diese Zeit für ihren Besuch gewählt hätte, hätte er dem Bedürfnis seines Körpers nachgegeben und mit Banner geschlafen. Einmal, auf ihr Verlangen hin, konnte, konnte verzeihlich sein. Aber zweimal? Niemals. Er hätte sie heiraten müssen.
Er machte Banner keine Vorwürfe. Sie war noch ein Kind, eine empfindsame junge Frau, deren Stolz einen Todesstoß erhalten hatte. Praktisch gesehen war es vernünftig, wenn sie heirateten. Hatte er diesen Gedanken etwa selbst schon in einem geheimen Winkel seines Gehirns gewälzt?
Oder warum hatte er sich nicht wie sonst immer nach Lydia gesehnt, als sie vom Hof fuhr? Warum hatte er sich viel mehr danach gesehnt, ins Haus zurückzukehren und damit fortzufahren, was Banner und er begonnen hatten? Es hatte ihn traurig gestimmt, dass er das vertraute Ziehen ums Herz nicht gespürt hatte, als Lydia ihn verließ, um zu Ross zurückzukehren. Wunderschön hatte sie ausgesehen, so wie immer. Aber sie war nicht länger die Schönste. Wann war Banner zum Standard geworden, an dem er alle Frauen maß? Er hatte gedacht, er liebe Lydia. Was zum Teufel ging hier vor?
Er und Banner wurden zu vertraut, das war alles. Sie lebten isoliert, und wie einsame Menschen das tun, griffen sie nach demjenigen, der gerade zur Verfügung stand. Nun gut, das musste aufhören. Er musste den Vertraulichkeiten ein Ende setzen, bevor Banner noch mehr närrische Vorstellungen darüber entwickelte, dass sie einander mehr bedeuteten, als es der Fall war.
Er war zu dem Schluss gekommen, dass ihm keine andere Wahl blieb, als sie zu verletzen. Folglich hatte er, als er zur Küche zurückkam, ihren sehnsüchtigen Blick sah und spürte, wie sein eigener Körper seine guten Absichten zunichtemachen wollte, diese schrecklichen Dinge gesagt.
Er hatte sie verletzt. Und er würde sie weiter verletzen. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste ihr klarmachen, dass zwischen ihnen einfach nichts sein konnte.
Und indem er sie davon überzeugte, würde er gleichzeitig sich selbst davon überzeugen – so hoffte er bei Gott.
11
Grady Sheldon hörte die Schreie, lange bevor er auf die Lichtung ritt und sein Pferd an den unteren Zweigen einer armseligen Kiefer festband.
Seine erste Vermutung war, dass Doggie Burns Wanda halb totschlug. Aber als er abstieg, sah er Doggie auf der einstürzenden Veranda sitzen. Auf jedem Fuß hatte sich ein Köter breitgemacht, und einer lag quer über seinem Schoß ausgestreckt. Der Schwarzbrenner hob einen Krug seines eigenen Gebräus an die schlaffen Lippen, während er etwas Unverständliches murmelte. Grady vermutete, dass es nicht Doggies erster Drink an diesem Tag war.
Erneutes schrilles Wehklagen, das so klang, als könnte es aus den Verliesen der Hölle stammen, drang aus der Hütte. Ohne Eile schlenderte Grady auf die heruntergekommene Behausung zu. Einer der verlausten Köter kam auf ihn zu, knurrte und schnappte nach seinen Fersen. Er trat ihm gegen den Kopf, worauf sich der Hund jaulend verzog.
Doggie wandte seine trüben Augen seinem Schwiegersohn zu. »Was ist da drinnen los?«, fragte Grady ihn.
»Dein Kleines is dabei, auf die Welt zu kommen, das isses.«
Ein weiterer Schrei, gefolgt von heftigem, rauem Keuchen, das Grady den Magen umdrehte, zerriss die Luft. »Das da«, sagte Doggie, deutete mit dem Kopf zur Tür und wischte sich den Mund, nachdem er einen tiefen Schluck aus dem Krug getrunken hatte, »geht den ganzen Tag schon so, und ich hab’s satt bis hier. Kreischen, Schreien, den Frieden eines Mannes stören, als wär se die einzige Frau, die je ’n Baby auf die Welt gebracht hat. Dämliche, verfluchte Hure.«
Der Gedanke an die Geburt machte Grady unerklärlich nervös und verursachte ihm Übelkeit. Er blickte in die Düsternis der offen stehenden Eingangstür, die Insekten, wilde Tiere und Ungeziefer jeder Art einlud, sich hineinzutrauen. »Hat sie … hast du versucht, den Doktor zu holen?«
Doggie starrte ihn mit vom Alkohol vernebelten Augen an. »Zum Teufel, Mann, glaubst du, ich bin verrückt? Wieso braucht sie ’nen Doktor, um ein Balg zu werfen? Verdammte Quacksalber. Zu nichts gut, als ’nem Mann sein sauer verdientes Geld zu klauen. Nee. Wandas Ma hat sie in keinem besseren Bett als das da zur Welt gebracht, und bei ihr ging’s prima. Das
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