Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
Wie du siehst, stamme ich aus dem Mittelwesten – genau wie du.« Er schaute zu ihr hinauf, indem er den Kopf anwinkelte, und der Druck gegen ihre Schenkel ließ sie wohlig erschauern. »Mein Vater war zwar recht erfolgreich als Versicherungsvertreter, reich werden konnte man davon allerdings nicht. Als er starb, war ich noch auf der Highschool. Meine Mutter starb vor zwei Jahren. Ich habe noch einen Bruder. Er ist Rechtsanwalt. Schätze, auf seine Art ist er genauso Schauspieler wie ich.« Er schmunzelte. »Zwei Jahre lang habe ich die Akademie für Bildende Künste besucht und im Anschluss an meinen Umzug nach New York meinen Abschluss an der American Academy of Dramatic Arts gemacht. Von da an war ich bei jedem Vorsprechtermin, in der verzweifelten Hoffnung, ein Engagement zu finden.«
»Ich habe mir A Chorus Line angeschaut. Ich glaube, ich könnte das nicht. Immer wieder die gleiche Tretmühle und dabei normal bleiben«, versetzte Lauri.
Er lachte. »Ein normaler Mensch würde sich das vermutlich
auch nicht antun. Eine niederschmetternde Erfahrung, das kann ich nur bestätigen. Ich weiß noch, als ich mich um die Rolle des Danny in Grease bewarb. Ich war davon überzeugt, die perfekte Besetzung für die Rolle zu sein. Wochenlang bin ich in einer schwarzen Lederjacke herumgelaufen. Hatte immer eine Zigarette in den Mundwinkel geklemmt und einen blöden Spruch auf den Lippen. Als ich beim Casting singen und vortanzen sollte, hab ich mich bis auf die Knochen blamiert. Da wusste ich, dass Musikfilme nicht mein Ding sind. Sie wollten mich noch nicht einmal als Statisten für die Massenszenen nehmen. Meinten, meine Haare würden im Scheinwerferlicht grau schimmern, und alte Männer könnten sie für diesen Film nun wirklich nicht gebrauchen. Ich erklärte mich sogar bereit, es schwarz zu färben, wenn sie mir irgendeine Nebenrolle gäben. Aber keine Chance.«
Er stockte für einen Moment und rieb mit seiner Hand über ihre, die weiterhin auf seinem nackten Bauch lag. »Bei diesem Casting lernte ich Susan kennen. Sie kam nachher zu mir und meinte, sie wäre richtig froh, dass ich die Rolle nicht bekommen hätte. Sie hätte es schade gefunden, wenn ich meine Haare gefärbt hätte.«
Der Schmerz in Lauris Brust flammte mit erneuter Intensität auf. Während er erzählte, war seine Stimme lauter geworden, eindringlicher. Susan schien ihm immer noch immens wichtig, obwohl sie schon drei Jahre tot war. Und obwohl sie sich die Antwort an fünf Fingern einer Hand hätte abzählen können, fragte Lauri leise: »War sie hübsch?«
»Ja«, sagte er prompt und schloss fast verträumt die Augen. »Sie war Tänzerin, hatte eine solide Ballettausbildung absolviert. Für A Chorus Line war ihr Stil viel zu klassisch.
Es zog sie immer wieder zum Ballett zurück. Zuletzt war sie beim American Ballet Theatre.«
Eine Ballerina! Das war ja noch katastrophaler, als Lauri sich in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt hatte. Dann war sie bestimmt eines dieser zarten, femininen und anmutigen Geschöpfe gewesen, und dazu noch hübsch, wie Drake betont hatte.
Siedendheiß wurde ihr bewusst, dass sie das Thema wechseln müsste, wenn sie die Stimmung des Augenblicks nicht restlos zerstören wollte. »Was würdest du denn am liebsten machen, Drake? Ich meine, welche Rolle würdest du gern spielen?«
»Brick in Die Katze auf dem heißen Blechdach «, antwortete er spontan. »Ich hab den Part mal an der Schauspielschule gesprochen. Ein großartiger Charakter. In diesen zweieinhalb Stunden wird jede Beziehung in Bricks Leben ausgeleuchtet. Ob mit seiner Frau, seinem Vater, seiner Mutter, seinem Bruder, seinem Freund.« Seine Stimme klang zunehmend enthusiastischer. »Bei dem Stück würde ich aber auch gern mal Regie führen. Ich stelle es mir toll vor, mit den Darstellern sämtliche Nuancierungen dieser faszinierenden Charaktere herauszuarbeiten. Grundgütiger, das wäre eine echte Herausforderung.« Er machte eine Pause, starrte in den Raum, als sähe er eine imaginäre Bühne mit Schauspielern, die seinen Anweisungen lauschten. Dann spähte er wieder zu ihr und fixierte sie endlos lange.
Ihre Haare schimmerten verführerisch im Feuerschein, umrahmten ihr Gesicht, als sie zu ihm hinunterblickte. Ihre seidenzarte Haut blitzte einladend unter den weich aufklaffenden Bademantelrevers hervor.
»Du siehst gar nicht aus wie eine Lehrerin«, sagte er weich.
»Aber du wie der geborene Schauspieler«, flüsterte sie.
Er erhob sich kaum merklich,
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