Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
ist«, sagte Andrew mit einem Seitenblick zu Drake. Der hatte seinen Pullover von der Couch gepflückt und rasch übergezogen.
Es war typisch für ihren Vater, dass er direkt auf den Kern der Sache zu sprechen kam. Gleichwohl hätte sich Lauri gewünscht, ihr bliebe mehr Zeit für eine plausible Erklärung. Aber was nutzte das jetzt noch, seufzte sie im Stillen. Bildete sie sich das nur ein, oder zitterte die Unterlippe ihrer Mutter auf einmal verräterisch? Wieso mussten die beiden auch ausgerechnet heute Abend bei Drake hereinschneien? Was, wenn sie eine Viertelstunde später geklingelt hätten? Lauri schauderte bei der Vorstellung. Daran durfte sie gar nicht erst denken!
Sie befeuchtete sich die Lippen und erklärte mühsam gefasst: »Drake … kam vor ein paar Tagen her, weil er Jennifer besuchen wollte. Du wirst die Kleine bestimmt vergöttern, Mutter«, setzte sie hastig hinzu. Als niemand etwas sagte, fuhr sie fort. »Sie hat ihm entsetzlich gefehlt … versteht ihr. Er hat sich ein paar Tage freigenommen beim Sender … Sie war so glücklich, ihren Dad zu sehen …« Lauri brach ab. Sie redete wirres, zusammenhangloses Zeug und machte damit vermutlich alles nur schlimmer.
Andrew fixierte die beiden Weingläser auf dem Tisch. »Er lebt hier mit dir zusammen.« Bei dieser Feststellung grub sich ein schmerzvoller Zug um seine Mundwinkel. Sie hätte viel darum gegeben, wenn er sie nicht so vorwurfsvoll angeschaut hätte. Bedauerlicherweise würden ihre Eltern die Situation jedoch niemals nachvollziehen lönnen. Seufzend schloss Lauri die Augen, wie um die tief verletzten Mienen ihrer Eltern auszublenden.
»Lauri, Liebes, was hältst du davon, wenn wir es ihnen erzählen?«, fragte Drake weich. Er trat zu ihr, legte zärtlich einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Sie sah mit schreckgeweiteten Augen zu ihm hoch. Was zum Teufel wollte er ihnen denn jetzt verklickern? Strahlend erwiderte er ihren Blick. »Ich weiß, ich weiß, wir wollten es eigentlich noch eine Weile geheim halten. Aber wir konnten schließlich nicht wissen, dass deine Eltern uns ausgerechnet heute mit ihrem Besuch überraschen. Ich fürchte, sie denken das Schlimmste von uns.«
Und damit haben sie verflucht Recht, wäre es ihr um ein Haar herausgerutscht. Sie biss sich auf die Zunge und rätselte stattdessen über Drakes Andeutungen und sein komisches Getue.
»Sir«, sagte er förmlich zu ihrem Vater. »Lauri und ich haben heute in Albuquerque geheiratet. Sie überraschen uns quasi in unserer Hochzeitsnacht.«
Hätte Drake sie nicht festgehalten, wäre Lauri auf der Stelle zusammengebrochen. Das Blut rauschte ihr in den Schläfen, dass ihr Schädel zu platzen drohte. Ihre Ohren dröhnten dermaßen, dass sie das Geplapper ihrer Eltern nur undeutlich wahrnahm, obwohl die beiden älteren Herrschaften
erfreut und erleichtert schienen über die Neuigkeit.
Lachend und weinend stammelten sie ihre gut gemeinten Glückwünsche. Ihre Mutter lief zu Drake, umarmte ihn kurz entschlossen und küsste ihn auf die Wange. »Willkommen in unserer Familie, Drake.« Andrew klopfte ihm auf den Rücken und sagte: »Mein Junge, einen kurzen Augenblick lang hätte ich mich fast vergessen. Ich mag dir gar nicht sagen, was ich gedacht hab.«
Dann umarmten sie Lauri, überschütteten sie mit einer Woge tief empfundener Liebe und neu gewonnenem Vertrauen. Sie war zu verdattert, um irgendetwas zu sagen oder in irgendeiner Form zu reagieren.
»Andrew, stell dir bloß vor. Jetzt haben wir noch ein weiteres Enkelchen!« Alice klatschte begeistert in die Hände. »Dürfen wir sie kurz sehen, Lauri? Ich verspreche auch, ich wecke sie nicht auf. Du hast uns ja schon geschrieben, was für ein reizendes Kind sie ist. Ich hab mich so darauf gefreut, die Kleine kennen zu lernen, und jetzt gehört sie tatsächlich zur Familie.« Alice’ braune Augen sprühten vor Glück, und Lauri brachte es nicht über sich, ihre Mutter erneut zu enttäuschen.
»Sie ist oben, Mutter. In dem kleineren Schlafzimmer. Geh doch mit Daddy nach oben, dann schaut ihr zwei kurz bei ihr herein, ja? Ich setze inzwischen Kaffee auf. Entschuldigt, dass meine Gastfreundschaft ein bisschen auf der Strecke geblieben ist«, sagte sie matt. Sie konnte kaum einen zusammenhängenden Gedanken fassen, geschweige denn sich vernünftig artikulieren.
»Komm, Andrew.« Alice zog ihren Mann an der Hand,
und er rollte die Augen in gespielter Verzweiflung himmelwärts. »Diese Frau ist so was von
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