Wie ein Stein im Geroell
und so fremd …
Ihm war das alles egal. Was in Barcelona vor sich ging und selbst das, was in Montsent passierte. Das tägliche Einerlei schien dem Onkel mehr zuzusagen als alles andere, und die Tante warf ihm das oft vor. Wenn es nur nach dir ginge, würden wir hier versauern. Das war natürlich übertrieben.
J aume wollte, daß Elvira in Montsent zur Schule ging, wo man im Schreiben und Rechnen mehr beigebracht bekam. Für ihn war es wichtig, daß sie so viel wie möglich lernen konnte, und weil sie im vergangenen Winter so fleißig gewesen war und die Lehrerin noch dazu große Stücke auf sie hielt, stand sein Entschluß fest. Nur daß sie anderthalb Stunden unterwegs sein würde, ließ ihn ein wenig zögern.
Ich sagte ihm, es wäre gut, wenn sie auch nähen lernt, und er lächelte. Ist doch klar! Aber es schien uns besser, noch etwas zu warten, und mit dreizehn sollte Elvira dann bei einer angesehenen Familie in Montsent als Hausmädchen anfangen und nachmittags für einige Stunden zum Unterricht gehen. So war es abgesprochen.
Jaume und ich hatten uns gemeinsam aufgemacht, um bei Sant Damià das Vieh zusammenzutreiben. Ein strahlend schöner Tag war das, und alles schien wie in einem riesigen Spiegel zu leuchten. Es wehte ein frischer Wind, was nicht weiter verwunderlich war, denn in der Ferne konnte man noch Schnee auf den Berggipfeln erkennen, und das obwohl seit Tagen frisches junges Grün aus der Erde sproß. Voller Hoffnung auf zartes Laub streckten die Birken dem Himmel ihre Zweige entgegen. Wir mußten uns beeilen, denn ich war ja allein mit der ganzen Arbeit im Haus. Die Mädchen blieben beim Onkel im Gemüsegarten, während wir die Kühe und Kälber nach Hause trieben.
Dieser gemeinsame Weg, Seite an Seite, war wie geschaffen, um einmal in Ruhe reden zu können. Am Abend würde ich bestimmt völlig erschöpft ins Bett fallen, aber jetzthatte ich einfach nur Freude daran, draußen zu sein, von einem Felsen zum anderen zu springen, durch den Bach zu waten, den Brennnesseln auszuweichen. Die Kühe waren folgsam, man mußte sie nur daran hindern, die jungen Triebe von den Ästen zu fressen, und sie wieder auf den richtigen Weg bringen. Vor Schlangen brauchten wir keine Angst zu haben, dafür war es noch zu kalt.
Wir sprachen erst von den Kindern und dann so ganz allgemein. Jaume gestand mir, daß er viel darum gegeben hätte, nach Barcelona fahren zu können, so wie die Tante, und daß er sich um die Zukunft unseres Landes Sorgen mache, um die Gerechtigkeit. Er sagte, hier in den Bergen seien wir ganz auf uns gestellt, niemand würde sich um uns Bergbauern scheren, die wir so weit weg leben von dem Ort, an dem alle Entscheidungen getroffen werden …
Wenn wir auf solche Dinge zu sprechen kamen, passierte mir immer dasselbe. Ein dichter Nebel umhüllte mein Gehirn und schlich sich von dort runter bis ins Herz. Und da wurde es eiskalt und ganz düster. Was ich vor Augen hatte, kannte ich, über das, was die Leute bei uns sprachen, konnte ich mitreden, so war ich eben. Alles, was nicht mit Pallarès oder Montsent oder mit Ermita zu tun hatte, war mir dagegen völlig fremd. Ich hatte von Barcelona gehört, vom Meer, sogar von Madrid, vom König. Aber alles zusammen wirkte auf mich wie eine dieser Geschichten, die der Vater uns Kindern am Feuer erzählt hatte. Ich dachte, all das gebe es nicht wirklich und sei genauso ein Schwindel wie Soledats Anrecht auf den Thron von England. Jaumes Augen leuchteten immer, wenn er mir von den Dingen da draußen erzählte, und vielleicht geriet mir ja deshalb die Welt dann so ins Wanken. Um mich herum drehte sich alles, und anstatt daß ich die Tiere nach Hause führte, waren sie es, die mir den Weg zeigten. In diesen Momenten waren Jaume und ich so verschieden wie Tag und Nacht, und dieser Unterschied machte mir mehr Angst als unsere Trennung während der Woche, wenn er woanders arbeitete.
Noch vor Einbruch der Nacht kehrten wir heim. Der Donnerstag ging zu Ende, und morgen begann wieder ein neuer Arbeitstag. Am Sonntag kam die Tante zurück und strahlte über das ganze Gesicht. So hatte ich sie noch nie gesehen. Sie wußte gar nicht, wo sie anfangen sollte, um uns von der Ausstellung zu erzählen, und davon, wie gut sie von der Familie aufgenommen worden war, vor allem von Ventura, der Tochter ihres Vetters Tomàs, die sie überall herumgeführt hatte.
Sie erzählte von Palästen, von Parkanlagen und von so vielen anderen Dingen, die sich mit nichts vergleichen
Weitere Kostenlose Bücher