Wie ein Stein im Geroell
die Augusta, die Großmutter der Jous,die Frau des Bäckers und noch ein paar andere, zu den Kindern sagten, sie sollten froh sein, wenn sie kein Geschwisterkind hätten, sobald sie nämlich eines bekämen, ganz egal ob Junge oder Mädchen, würde ihnen das Lachen schon vergehen. Solche Bemerkungen hatte Elvira ein paar Mal mitbekommen. Und auch noch schlimmere Dinge: daß man sie dann nicht mehr lieb haben würde, daß die Mutter nur noch für das Neugeborene da wäre und daß sie im besten Fall alles mit dem Geschwisterchen teilen müßten.
Ich war wie erschlagen, und Elvira tat mir leid. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich sie mitgehen lassen, auch wenn mir ein so beschwerlicher Weg für ein zartes Persönchen, wie sie es war, viel zu anstrengend erschien. Ich konnte die Leute einfach nicht verstehen. Warum machten sie so etwas?
Was für ein Glück nur, daß wir so viele Pilze fanden, wegen all dieser Gedanken wäre mir sonst recht schwer ums Herz gewesen. Aber Pilze gab es genug. Ganz so, wie wir es uns erhofften: Es hatte geregnet, dann hatte die Sonne geschienen, und jetzt bot die gesättigte Erde ihre Gaben feil. Die Tante würde Augen machen. Was für eine Freude, mitten im Gras Mairitterlinge und Röhrlinge zu entdecken!
U nd wieder zog ein Sommer ins Land. Völlig unverhofft begann die ganze Arbeit, die einem bis Ende August keine einzige Verschnaufpause mehr gönnte. Danach machten vier Donnerschläge der Hitze den Garaus, und nur um die Mittagszeit war es noch etwas heiß, und auch nur dann, wenn sich gerade keine Wolke vor die Sonne geschoben hatte.
In jenem Sommer 1932 kamen die Vettern aus Barcelona nicht zum Patronatsfest hinauf, und doch habe ich es als eins der schönsten Feste in Erinnerung. Jaume wollte keinen einzigen Tanz versäumen; für jung und frisch verliebt hätte man uns halten können. Ich sehe noch vor mir, wie wir uns im Takt der Musik drehen, und noch immer spüre ich den frischen Lufthauch auf meiner heißen Wange. Der Blumenstraußtanz, der Tanz der Verheirateten … keinen einzigen ließen wir aus. Und nach dem Abendessen gingen wir wieder zum Fest zurück und tanzten weiter bis in die frühen Morgenstunden. Ich mußte die ganze Zeit an unseren allerersten Tanz denken. Ob es Jaume auch so ging? Wie damals spürte ich ringsherum wieder viele Blicke auf uns gerichtet. Sprach aus ihnen so etwas wie Neid? Jaume achtete nicht darauf, schien sich ganz diesem einen Augenblick hinzugeben und sonst nichts. In seinen Armen fühlte ich mich sicher und geborgen, als sei ich das Allerwichtigste für ihn. Das machte mich glücklich, und gleichzeitig machte es mir Angst. Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr mich. Ohne ihn, was wäre ich da? Aber das Akkordeon hörte nicht auf zu spielen, und ich, ich schien an den Füßen Flügel zu haben und drehte mich immer weiter.
Die ersten Töne des Potpourris erklangen, das das Ende der Tanzveranstaltung am Nachmittag ankündigte, und noch heute meine ich, Angeleta zu sehen, wie sie uns einen verstohlenen Blick zuwirft, als mich ihr Vater zum Tanzen holt. Und dann, mittendrin, Elvira, die vor einem Burschen steht, der ein gutes Stück größer ist als sie. Ganz ernst schaut sie ihn an. Mit ihren zwölf Jahren war sie wie eine Rose kurz vor dem Erblühen. Kastanienfarbenes Haar, wellig und seidig glänzend, das sie noch immer zu zwei Zöpfen geflochten trug, honigfarbene Augen, um die Nase herum Sommersprossen und über dem Kinn ein Mund mit schmalen und schön geschwungenen Lippen. Dann sehe ich wieder Angeletas Lockenkopf, die mit einem etwas größeren Mädchen herumwirbelt, und dann wieder Elvira, die mir zuwinkt und lächelt. Bevor die letzten Melodien erklingen, sage ich Jaume, daß ich wieder guter Hoffnung bin, und bei all dem Lärm weiß ich nicht, ob er mich verstanden hat. Er dreht mich weiter im Kreis, ich kann seine Augen nicht sehen, nur den Flaum neben seinem Ohr, und als sie aufhören zu spielen, da gibt mir sein Lächeln den verlorenen Atem zurück. Ob es dieses Mal ein Junge wird?
Ja, ich würde gerne einen Jungen haben. Die Mädchen waren ja schon groß, und das hatte, einmal abgesehen vom ersten Jahr, keinerlei Mühe gemacht. Aufgewachsen waren sie unter dem strengen Blick der Tante – Großmutter sagten sie zu ihr –, einem Vater, den sie verehrten, der aber oft nicht daheim gewesen war, und einer Mutter, in der sie eigentlich eher eine große Schwester sahen. Und die sich, genauso wie die beiden, den täglichen Anordnungen
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