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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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Stimme, ganz aufgeregt: Mutter, hier sind ja so viele!

D ie Engel in der Kirche von Pallarès hatten keine Augen auf den Flügeln. Ich muß gestehen, daß ich von Religion nicht viel verstand, und während der Predigt von Pfarrer Miquel verlor ich gleich den Faden. Wenn er anfing zu reden, dann sprach er lang und breit und ohne Punkt und Komma, und wenn er endlich zum Ende kam, dann war ich in Gedanken schon längst zu Hause, auf den Wiesen oder noch weiter weg, bei den Augen der Engel von Ermita, die mich als Kind immerzu angeschaut hatten, damit ich ihnen sagte, ob ich auch wirklich artig gewesen sei.
    An jenem Sonntag aber war die Predigt von Pfarrer Miquel durchaus von dieser Welt, und als er anfing, von den Männern in unserem Dorf zu reden, da klammerte ich mich an seine Worte wie an die Zügel eines Pferdes. Er sagte, die von Gott geschaffene Ordnung der Dinge dürfe man nicht ins Wanken bringen. Von Tag zu Tag fühle sich der Mensch überlegener, und er hinterfrage nicht mehr, ob er mit seinem Tun vielleicht der göttlichen Vorsehung zuwiderhandle. Schließlich habe unser Herrgott selbst doch ganz genau bestimmt, wie der Weg zu verlaufen hat. Als ich das mit dem «verlaufen» hörte, mußte ich gleich an das Wasser aus Sarri denken. Aber das war ja Unfug, das konnte er ja gar nicht meinen. Dann sagte er noch: Die herrschende Ordnung muß man annehmen, ganz egal, ob man von Geburt aus reich oder arm, ob man gesund oder krank ist. In der Stunde unseres Todes sind wir vor Gottes Angesicht alle gleich. Und das allein zähle. Und die Männer, die seit einiger Zeit so viel von Freiheit und Gerechtigkeit redeten, hätten nichts anderes im Sinn, als alles auf den Kopf zu stellen, und würden dabei den Verstand verlieren und Gefahr laufen, für alle Ewigkeit der Verdammnis anheimzufallen. In der ersten Reihe, ganz in der Nähe der Kanzel, nickte die Großmutter der Sebastiàs, so als sei sie mit allem einverstanden. Schließlich wandte sich Pfarrer Miquel noch direkt an uns Frauen und ermahnte uns, wir müßten unsere Männer zu Gott führen und sie wieder auf den rechten Weg bringen, wenn sie drohten, davon abzukommen. Täten wir das nicht, träfe die Strafe Gottes die ganze Familie.
    Als er mit seiner Predigt fertig war, stieß mich die Tante mit dem Ellenbogen an und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Vor der Kirche meinte sie zu mir, Pfarrer Miquel sei schon immer den Reichen in den Arsch gekrochen, und nun würden sie ihn dazu bringen, sich in Dinge einzumischen, die ihn rein gar nichts angingen. Da wurde mir klar, daß die Predigt sehr wohl auch auf mich abgezielt hatte. Die Tante sagte einfach ganz unverblümt, wie es war, um so mehr wollte ich den ganzen Wortschwall des Pfarrers so schnell wie möglich vergessen. Ich hatte auch an genug anderes zu denken, mit all der Arbeit daheim und mit meinem dicken Bauch. Der gab Anlaß zu allerlei Gesprächen, als wir aus der Kirche herauskamen, zu freundlichen Bemerkungen, aber auch zu manch schrägem Blick.
    Die Mädchen waren glücklich darüber, ein Geschwisterchen zu bekommen, das hatte sie einander nähergebracht, und die eine strickte ihm Söckchen, und die andere nähte ihm ein Baumwollhemdchen. Ich fühlte mich schwerfällig, besonders die geschwollenen Beine machten mir zu schaffen, und der Tag schien nie ein Ende zu nehmen, obwohl mir Elvira eifrig zur Hand ging. Wenn es ein Junge werden sollte, hatte Jaume schon einen Namen für ihn. Mateu würde er heißen. Wie Jaumes Vater. Würde es ein Mädchen, wollte er, daß sie so heißt wie ich. Den Namen Mateu mochte ich wohl, doch je nachdem, wie er ausgesprochen wurde, ließ er mich an den Tod denken, und dann gefiel er mir nicht mehr.Aber ich ertappte mich oft dabei, wie ich diesen Namen vor mich hinsagte, und nach und nach gewöhnte ich mich daran. Und wenn es nun doch kein Junge würde? Soledat mit ihrem hämischen Blick hatte nichts zu mir gesagt, und das ließ mich hoffen.

I ch hatte geträumt. Ich war auf einem Fest, und als die Musik aufhörte zu spielen, schaute ich meinen Tänzer an, und er hatte kein Gesicht. Ich war mir sicher, daß ich mit Jaume tanzte, doch seine Gesichtszüge lösten sich auf … Der Platz war voller Menschen, aber alle, die ich dort sah, waren mir fremd. Nur Martí von den Sebastiàs kannte ich, der oben auf dem Dach Musik machte. Schweiß strömte über sein Gesicht, er lachte wie von Sinnen und fletschte dabei die Zähne. Ich wollte weglaufen, doch meine Beine waren wie

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