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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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Tochter? Und dann hat er gegen die anderen gewettert und geschrieen, was die bloß von einem sechzehnjährigen Mädchen wollen? Ob diese Welt denn völlig verrückt geworden sei?
    Große Tränen rollen mir über die Wangen. Ich spüre, wie sich mein Herz zusammenkrampft. Unter dem Vorwand, daß ich noch am Fluß die Wäsche machen muß, gehe ich aus dem Zimmer. Jaume ist jetzt ganz still. Ich lasse ihn allein, und er starrt auf die Fensterscheiben.

D RITTER T EIL

D as Holpern machte mich schläfrig, und doch war ich hellwach. Das war jetzt kein Traum mehr. Auf der einen Seite Elvira, auf der anderen Angeleta und um mich herum so viele Gesichter. Alle fremd, alle schweigsam, mit verlorenem Blick. Nein, das war kein Traum. Das war die Wirklichkeit.
    Um die Mittagszeit hatten sie an die Tür geklopft und auf Spanisch nach der «Ehefrau und den Kindern von Jaime Camps» gefragt. Die Tante hatte ihnen auf alles furchtlos Antwort gegeben. Ich hatte nur ihren Befehlen gehorcht. Daß ich mit meinen Kindern auf den Lastwagen steigen sollte. Daß wir etwas Essen für den Tag mitnehmen konnten. Und alles mußte ganz schnell gehen. Die Tante hatte Elvira im letzten Augenblick noch eine Matratze gegeben. Mir schien das übertrieben, aber ich sagte nichts. Ich schaute auf die Waffen und auf diese hochgewachsenen, kräftigen Burschen, die wiederum verstohlene Blicke auf meine Große warfen. Ich tat nichts anderes, als ihren Anweisungen zu folgen. Die Großmutter der Familie Jou war gekommen und hatte sie angefleht, Mitleid mit dem Kleinen zu haben, sie sollten ihn doch bei seiner Großmutter lassen, gerade mal sechs Jahre sei er alt und außerdem krank. Sie hatten sie einfach beiseite geschoben, aber nicht nach dem Kind verlangt, das sich an das schwarze Kleid der Tante klammerte wie ein Blatt, das vom Wind gegen einen alten Baumstamm gepreßt wird.
    Und keine Nachricht von ihm, von Jaume. Bei Tagesanbruch hatten sie ihn geholt. Ich lag noch im Bett und auch die Mädchen und der kleine Mateu. Ich glaube, sie haben nichts mitbekommen. Drei kurze, heftige Schläge an die Tür: «Ist dasdas Haus von …», dann seinen vollständigen Namen und schließlich, «unter der Republik Friedensrichter der Gemeinde Pallarès … soll mitkommen.» Während ich mir schnell etwas überwarf, dachte ich, wie sehr doch die Frau des Bäckers am Abend zuvor recht gehabt hatte. Geh fort, Jaume, hör auf mich. Ich hab’ munkeln gehört, daß sie jeden einzelnen von euch holen wollen, der sich irgendwie für die Republik hervorgetan hat. An der Brücke von Algorri hat man die Wachposten getötet, seitdem sind sie auf Rache aus. Und Jaume: Ich habe nichts Unrechtes getan, warum sollte ich mich verstecken?
    Und jetzt … Er umarmt mich, das Haar noch ganz zerzaust, leb wohl, und ich weine nicht, aber mir ist, als hätte man mir die Seele aus dem Leib gerissen. Und er sagt nur, ihr müßt keine Angst haben … bleibt ganz ruhig. Und ihn von hinten zu sehen, wie er von den Soldaten abgeführt wird … So viel kleiner als sonst kam er mir vor. Das Dorf schien wie leergefegt. Niemand war auf der Straße. Roseta von den Sebastiàs lehnte sich zum Balkon hinaus. Die hatte keine Angst, grinste höhnisch, als sie unter ihr vorbeizogen. Auch die Haushälterin des Pfarrers öffnete ihre Balkontür, aber sie schaute sich nur vorsichtig um, ohne sich sehen zu lassen. Ich bin mir sicher: Hinter jedem Fenster gab es ein Augenpaar, das alles genau verfolgte.
    Jetzt, auf dem Lastwagen, nähert sich mir Mundeta aus Sarri, und ich erkenne auch andere Gesichter. Sie sagt mir, daß man uns nach Monsent bringt. Was wird nur aus uns? Ihren Sohn haben sie auch heute Morgen geholt. Mundeta ist schon älter, ihr Haar ist weiß und ihr Blick so müde. Da sind Leute aus Torve, aus Sant Damià, aus vielen Dörfern im ganzen Umkreis. Eine Frau erinnert sich an mich aus Ermita und sagt mir, daß der Vater sehr alt geworden sei, aber daß es ihm und meinen Geschwistern gut gehe. Ich höre das alles, so als ob ich unter einem großen Dach sitzen würde, und der Regen rauscht an dir vorbei, und du wirst nicht naß, bekommst keinen einzigen Tropfen ab. Und ich freue mich und empfinde doch keine Freude.
    Sie bringen uns ins Gefängnis von Montsent. Ich wußte noch nicht einmal, wo das lag. Nichts zu wissen, das ist das Schlimmste. Elvira müht sich ab, sie spricht sogar mit den Wärtern. Junge Männer sind das, die meisten von ihnen mehr oder weniger in ihrem Alter. Sie macht das, wozu

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