Wie ein Stein im Geroell
ich nicht fähig bin. Ich fühle mich wie ein Stein im Geröll. Wenn irgend jemand oder irgend etwas mich anstößt, werde ich mit den anderen fallen und herunterrollen; wenn mir aber niemand einen Stoß versetzt, werde ich einfach hierbleiben, ohne mich zu rühren, einen Tag um den anderen …
Angeleta hat sich an meinen Rock geschmiegt, und auch sie rührt sich nicht. Wir sind nur Frauen und Kinder. Bestimmt um die fünfzehn. Eins haben wir alle gemeinsam: Sie haben uns jemanden weggeholt. Zuerst sagt niemand etwas. Doch dann, noch voller Scheu, fängt irgend jemand an zu reden.
Aus unserer Gegend, die die Franco-Truppen schon besetzt hatten, versuchten einige Familien zum anderen Flußufer zu gelangen, das noch in republikanischer Hand war. Nur die Brücke von Algorri mußte man überqueren. Und nach dem Tod der Wachposten gestern Nacht war der Weg frei. Es heißt, bei allen reichen Familien im Tal hätte man Erkundigungen eingezogen, um die Unsrigen aufzugreifen, und daß auch irgendein Geistlicher Namen genannt hätte. Jetzt fällt ein feiner Regen, der mich bis auf die Knochen durchnäßt, und ich bin ihm schutzlos ausgesetzt. Ein gewaltiges Zucken zerreißt mich ohne jeden Laut. So viel Schuld haben wir auf uns geladen, mein Gott, daß Du so viel Leid über uns kommen läßt?
Gegen Abend teilen sie uns in einem Napf einen Löffel Brotsuppe aus, ohne einen einzigen Tropfen Öl. Mir ist, als würde ich dürre Zweige hinunterschlucken, so trocken ist meine Kehle. Angeleta beginnt, sich ein wenig umzuschauen, und spielt mit einem kleineren Mädchen. Elvira sagt ab und zu etwas zu mir. Ihre Gelassenheit beruhigt mich. Ich glaube, so sagt sie, wir werden die Nacht hier verbringen.
O b es regnen wird? Durch das Gitter über unseren Köpfen sieht man ein Stück Himmel. Wie langsam die Zeit doch vergeht, wenn man wartet und nicht weiß worauf!
Ich sehe Elvira, wie sie mit den Soldaten spricht, die an der Tür Wache halten. Jetzt lassen sie sie hinausgehen. Was geht da vor? Die Leute schauen mich an, argwöhnisch oder mitleidig, ich weiß es nicht. Da ist sie schon zurück. Zwei Matratzen hat sie bei sich. Sie kommt auf mich zu. Sie hat mit der Tante gesprochen. Der Kleine ist bei Delina, da ist er gut aufgehoben. Die Tante hat ihr auch gesagt, daß sie im Pfarrhaus vorstellig geworden ist und bei der Familie, bei der Elvira in Dienst stand, einfach überall, wo sie dachte, daß man uns helfen kann. Gehört hat sie aber noch nichts. Wie mutig sie ist, die arme Frau …
Die Mittagszeit ist schon vorbei, und wir haben nichts zu essen bekommen. Soll das heißen, daß sie uns freilassen werden?
Ich bin etwas gefaßter. Da müssen wir durch, und wer weiß, vielleicht sind wir ja schon ganz bald wieder zusammen und reden über unsere Angst und Not, als sei alles bereits Schnee von gestern.
Wieder sind wir auf einem Lastwagen. Ich glaube, es ist derselbe wie am Tag zuvor. Elvira spricht mit den Soldaten … Sie sind zum Scherzen aufgelegt. Es geht bergab, ins Tal hinunter. Alles sieht so schön aus, wie ist es da möglich, daß jemand leiden muß, so arm und unbedeutend er auch sein mag. Überall hört man Vogelgezwitscher, zu unserer Linken schimmert der Fluß, und die Sonne hat schließlich doch dieWolken vertrieben und scheint nun so stark wie im Sommer. Die Pinien dort oben, die Eschen und Pappeln am Straßenrand, sie stehen ganz still. Nur wir bewegen uns. Hinunter, immer weiter hinunter. Nirgendwo ist jemand zu sehen, auf der Straße nicht und auch nicht in den Dörfern, durch die wir fahren. Nur Gruppen bewaffneter Soldaten, so wie die, die uns bewachen. Und wir, ohne zu wissen, wohin man uns bringt. Still müssen wir sein. Wir haben noch ein Stück Brot und teilen es mit denen neben uns. Zwischen uns hier gibt es keine Unterschiede. Alle sind wir gleich, wie eine Familie, eine so unglückliche Familie. Ich sammle die Brotkrümel ein, die auf meinen Rock gefallen sind, einen nach dem anderen. Das ist gar nicht so leicht, weil alles so schaukelt. Ich habe keinen Hunger, aber wer weiß, wann ich wieder Brot essen kann, das wir selbst gebacken haben …
Eine ganze Weile stehen wir jetzt schon. Ich weiß nicht, worüber sie so lebhaft miteinander reden. Elvira rückt näher an mich heran und flüstert mir ins Ohr, daß wir nach Noguera fahren, so scheint es zumindest. Daß wir dort vermutlich die Nacht verbringen werden. Ich schaue sie an, und sie kommt mir vor wie ein Engel, so schön ist sie. Selbst ungewaschen
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