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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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Kraft mehr hatte, für meine Kinder da zu sein. Wie betäubt verharrte ich hinter dieser Mauer aus Traurigkeit. Ich konnte mich nicht auf den Boden werfen und einfach losschreien, und darum wollte ich einfach nur dasitzen, ohne mich zu bewegen, ohne nachzudenken. Mich einfach nur in diesen Schmerz ohne Hoffnung versenken. Die Kinder mußten leben, und ich wollte sterben, und ich dachte, wenn ich nur so ganz still dasitze, mit dieser Hölle in meinem Inneren, dann werde ich irgendwann einfach zerbersten, und das war’s dann, Conxa. Doch es gab mir einen Stich ins Herz, meine Töchter ihrem Schicksal zu überlassen. Zwei Tage lang hatte ich mich geweigert, etwas zu essen, aber Elvira ließ nicht locker, und da gab ich nach. Was für eine Qual, dieses Stück Brot hinunterzuschlucken, wo meine Kehle doch nichts durchlassen wollte. Wie ein Stück Schilfrohr war sie, das man nicht durchstoßen hatte … Ganz langsam, unter dem wachsamen Blick meiner großen Tochter, zum ersten Mal mit vertauschten Rollen, und tief in mir dieses Verlangen, laut herauszuschreien: Es reicht!

E lvira hatte sich in dieses Leben gefügt. Wenn man jung ist, fällt einem alles viel leichter. Und dabei hatte sie viel einstecken müssen. Weil sie umtriebig war, einfach mit jedem sprach, sich nicht einschüchtern ließ. «Die Roten» nannten sie uns; Männer aus diesem Dorf hatte man auch getötet, und viele andere waren rüber nach Frankreich gegangen. Wie es hieß, sogar ganze Familien.
    Wir waren in der Nähe eines Dorfes untergebracht, das etwas kleiner als Montsent gewesen sein mag. Eines Tages beschimpfte ein Mädchen Elvira. Sie war ungefähr in ihrem Alter und sagte, die Roten hätten ihren Verlobten umgebracht. Elvira hatte Glück, denn sie war in Begleitung eines jungen Mannes, eines Aragonesen, und der Arme verteidigte sie. Einigen war all unser Leid nicht genug, wir sollten uns auch noch schuldig fühlen. Warum trifft es immer die gleichen?
    Sechs Personen schliefen quer nebeneinander auf unserer Matratze. Es gab Flöhe, doch so sehr wir auch darauf achteten, uns sorgfältig zu waschen, es gelang uns nicht, sie ganz loszuwerden. Das Essen war schlecht, aber wir mußten nicht hungern. Wir arbeiteten: Wir putzten, nähten, halfen auf der Krankenstation … Überall waren Italiener. Sie machten uns Angst, und wenn irgend möglich, gingen wir ihnen aus dem Weg.
    Jeder neue Tag legte sich wie eine Grabplatte auf mein Herz. Der unaufhörliche Strom von Tränen war versiegt. Mein Leben kam mir jetzt vor wie ein schlechter Traum, aus dem ich früher oder später erwachen würde. Hinter diesem Albtraum glaubte ich so etwas wie einen Hoffnungsschimmerauszumachen. Zurück nach Hause. Vielleicht stimmte das alles ja überhaupt nicht. Sie waren so voller Leben, es konnte doch gar nicht sein, daß man sie einfach umgebracht hatte, einfach so, ohne jeden Beweis. Es konnte doch gar nicht sein, daß sie einfach gesagt haben: der da, und der, und der … Vielleicht waren sie ja im Gefängnis, oder man hatte sie verschleppt, so wie uns. Was wußte schon so ein einfacher Soldat? Den Mädchen sagte ich von all dem nichts. Ich bewahrte meine Gedanken wie ein Geheimnis, das sie mit Freude erfüllen würde, wenn es erst einmal Wirklichkeit geworden war, ganz bald. Das Schweigen beruhigte mich und gab mir Kraft. Schweigen, vom Alltag träumen, vom Glück, das in jeder einzelnen Stunde eines Tages liegt. Irgendeines Tages, ganz gleich, ob es ein guter oder ein schlechter Tag ist. Einer, an dem eine Kuh von einem Blitz getötet wird, und du viel Verdruß hast, oder einer, an dem alles so ist, wie es sein soll. Das Heu in der Scheune, die Hühner auf der Stange, die Kühe ruhig im Stall und wir alle am Tisch beim Abendessen. Nein, den Mädchen sagte ich nichts von alldem. Für sie war es wichtig, an etwas anderes zu denken. Das war ein harter Schlag für sie, was da geschehen war, aber man dachte besser nicht darüber nach. Es mußte vorwärtsgehen. Sie konnten sich nicht wieder der Hoffnung hingeben, das alles sei vielleicht nicht wahr … Aber ich mußte mich daran festhalten, um wenigstens atmen zu können.
    Sie sagten uns nichts. Wie lange würden sie uns dabehalten? Was hatten wir dort zu suchen? Für was waren wir Frauen und Kinder bloß gut? Wir verstanden ja gerade mal die Anweisungen, die sie uns gaben …
    Die Erde dort schien gut zu sein. Wasser im Überfluß, so wie in den Dörfern bei uns daheim, gab es freilich nicht. Der Ort lag tiefer, und heißer

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