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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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und ungekämmt. Von allen dreien ist sie ihrem Vater am ähnlichsten … Und er, wie es ihm wohl geht, der Ärmste, bestimmt denkt er viel an uns.
    Ich war noch nie in Noguera. Eine große Stadt ist das. Kreishauptstadt. Hier sind Menschen zu sehen. Aus sicherer Entfernung schauen sie uns an, so als ob wir Aussätzige wären. Aber das sind wir ja auch, mit all unserer Angst, all der Ungewißheit, all dem Schmerz … Jetzt heißt es, das Gefängnis sei voll. Bis morgen müssen wir in einem Raum bleiben, der über der Bushaltestelle liegt. Zum Glück ist er groß genug. Wir bleiben nah beieinander, ganz instinktiv, damit wir uns gegenseitig helfen können. Wir sind erschöpft und machen uns daran, unsere Matratzen auszurollen. Aber was soll das? Elvira wirft sich mir an den Hals und drückt mich so fest, daß ich fast keine Luft mehr bekomme. Und sie weint und weint …Kein Wort bekomme ich aus ihr heraus. Was hast du denn, was hast du, Kind? Als ich leise zu ihr sage: Schau nur, das geht alles vorüber, morgen vielleicht …, bringt sie mich zum Schweigen. Mutter, Mutter, sie haben alle getötet, heute Morgen, in der Nähe der Brükke. Ein Soldat aus Montsent hat es mir gesagt, er kennt mich, aber bis jetzt … Überall im Saal breitet sich die Nachricht aus, und unter die Schreie und Tränen mischen sich Namen und Schweigen und Menschen, die zu Boden fallen, und das Entsetzen der Kinder, die nicht wissen, was sie tun sollen. Ich fühle, wie mir eine Axt mitten durchs Herz schlägt, aber nicht eine Träne quillt hervor, kein Schrei, kein Tropfen Blut. In jedem Arm halte ich eines der Mädchen, und ihre Tränen sind für mich wie Wasser, das meine Wunde nicht reinigen kann. Angeleta verbirgt ihr Gesicht in meinem Rock, und mit meiner rechten Hand streiche ich über ihr Haar. Eine Strähne wickelt sich sachte um meine Finger, und ich denke an Jaumes Gesicht, das immer lächelt. Eine junge Frau schreit und rauft sich ihr Haar. Dann wälzt sie sich stöhnend auf dem Boden. Und jetzt endlich spüre ich, wie meine Wangen langsam naß werden, aber kein Schrei bricht aus mir hervor, da ist nur dieser gewaltige Schmerz im Hals, so als ob man mich erwürgen würde …
    Ein Soldat kommt herein, die Augen scheinen ihm aus dem Gesicht zu quellen, und er schreit auf Spanisch: «Ruhe hier! Jetzt wird geschlafen!»

I ch hatte schon immer Angst vor dem Tod. Wenn jemand daheim stirbt. Flüstern zu müssen und gezwungen zu sein, jemanden anzuschauen, den man am nächsten Tag wegtragen wird, für immer, mit den Füßen zuerst, um ihn in ein Loch zu legen. All die Küsse, die falsche Anteilnahme und die echte, und die geröteten Augen derer, die man liebt. Und was war, jetzt hatte ich noch nicht einmal einen Toten, und doch war meine Angst, war meine Qual noch viel größer, weil ich den leblosen Körper nicht sehen konnte und auch nicht diese Wangen aus Wachs, die einmal so rot wie die Blüten des Granatapfelbaums gewesen waren. Ich war voller Trauer und hatte keinen Toten, dem ich die Augen schließen konnte, keine Totenwache konnte ich an seiner Seite halten, keinen Sarg konnte ich ihm kaufen und nicht mit einem Strauß frischgepflückter Blumen an sein Grab gehen, um dort zu weinen und einfach nur zu weinen. Wie eine Rose in all ihrer Pracht war er, als sie ihn mir entrissen, und mir blieb nur diese eine letzte Erinnerung: ein kleiner Funke in seinem Blick, ein so seltsames Lebewohl. Ich wußte, daß er tot war und daß ich ihn niemals mehr bei mir haben würde, denn der Krieg, das ist die Bosheit schlechthin. Wie sie über den Boden kriecht und ihre Schlangenbrut zurückläßt, ihre Saat aus Feuer und Messern mit offenen Klingen. Und meine Kinder und ich, wir waren barfuß, hatten nur unsere weit aufgerissenen Augen. Noch nicht einmal Trauerkleidung trug ich, denn mein Toter war nicht wie die anderen. Er war ein Ermordeter, den man sofort vergessen muß. Und vor seinem Namen müssen Mund, Augen und Ohren mit dickflüssigem Zement verschlossen werden. Ich wußte, daß er zu diesen Toten gehörte, denn sie brachten mich auf einem Lastwagen voller Schmerz nach Aragonien. Denn wir Unglückseligen mußten weit weggebracht werden von dem einzigen, was uns blieb: unser Elend mit unserem Stück Himmel und unserem irdischen Jammertal.
    Als ich begriff, daß wir wie eine Herde ohne Hirte waren, und der Wolf vielleicht auf der Lauer lag, da fühlte ich mich so verlassen. Das Herz schnürte sich mir zusammen, denn ich spürte, daß ich keine

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