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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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war es auch. Doch den Menschen dort ging es bestimmt nicht schlecht, vorher zumindest, denn ein normales Leben führten sie jetzt auch nicht. Überall nur Soldaten, Befehle, Schreie und Schweigen.
    Morgens und Abends mußten wir beten. Auf Spanisch konnte ich das nicht, darum tat ich nur so als ob und bewegte bloß die Lippen. Noch einmal beten lernen in einer anderen Sprache, das wollte ich nicht. Ich redete ja schon mit Gott, in meinem Inneren, lang und ausführlich. Ich erzählte ihm alles, flehte ihn an. Aber immer nur in meinem Inneren. Wie zwei Freunde, die sich schon lange kennen und denen ein einziger Blick genügt. Man muß gar nicht den Mund auftun, nur irgendwo bei seinem Kummer anfangen und daran ziehen, ganz langsam, wie an einem Wollknäuel, und den Faden einfach laufen lassen, nur laufen lassen …, bis du schon nicht mehr die Farbe erkennen kannst, weil deine Augen voller Tränen sind. Doch du vergießt keine einzige Träne. Die Wolle hat sich in einen Schleier aus Wasser verwandelt und gleitet deine Wangen hinunter, und gerade als du aufschluchzen willst, merkst du, daß du nicht allein bist, und da bildet sich dieser Knoten in deinem Hals, und du spürst einen heftigen Schmerz. Ganz langsam schluckst du ihn hinunter, und auf einmal reißt der Faden, und auf der einen Seite bleibt das Wollknäuel zurück, und ein Stück von deinem Kummer rutscht direkt in den Bauch, mit dem Knoten und allem.

A ls sie in Barcelona einmarschierten, hatte ihnen sicher jemand gesagt, daß sie uns jetzt nach Hause schicken könnten. Fünfeinhalb Wochen waren vergangen, und als wir an der kleinen Kapelle des Heiligen Josefs ankamen, Pallarès also schon vor uns lag, da zitterten mir noch immer die Knie.
    Zuvor, in Montsent, da hatten sie uns in das Büro des Kommandanten gebracht. Immer zu viert. Wir drei gingen zusammen mit Mundeta hinein, die damals für uns wie zur Familie gehörte.
    Wir mußten uns vor dem Schreibtisch aufstellen, aber nicht zu nah kommen. Ein Soldat bewachte die verschlossene Tür. Sie forderten uns auf, unsere Namen zu nennen, aber dann redete nur noch der Offizier, natürlich auf Spanisch: «Die Schmach dieses Landes ist getilgt. Dank Gottes Hilfe sind wir gerettet. Wir erwarten, daß Euer Verhalten von jetzt an untadelig sein wird. Wenn Ihr gute Spanierinnen seid, habt Ihr nichts zu befürchten. Jetzt geht und denkt daran, was ich Euch gesagt habe.» Er trug einen dichten schwarzen Schnurrbart, der so gar nicht zu seiner winzigen Nase paßte. An seine Augen erinnere ich mich nicht mehr. Beim Hereingehen hatte ich nur einen verstohlenen Blick auf ihn geworfen, und während er zu uns sprach, auf meinen Rock geschaut, dessen Saum jeden Tag mehr ausfranste, und auf meine Leinenschuhe, aus denen schon die Zehen hervorlugten. Sie setzten alles daran, uns glauben zu machen, wir seien schlechte Menschen. Sie wiederholten immer wieder die alte Leier, und ich hatte Angst um meine Töchter. Als hätten wir die Sprache verloren, standen wir da, doch dann schien Mundeta etwas sagen zu wollen, schnell nahm ichihre Hand und drückte sie ganz fest, und wir hatten so ein Glück, denn der Soldat öffnete uns sofort die Tür.
    Auf dem Weg von Montsent nach Hause, zu Fuß, da war uns, als sähen wir alles zum ersten Mal. Überall blühte die Waldrebe. Ohne Angst vor den stechenden Dornen rankte sie sich um die Brombeersträucher. Weiße Waldrebe, so zart und doch so stark. Waldrebe, mit der man die Garben zusammenbindet. Waldrebe, aus der man ein Springseil für die Kinder macht. Ich riß ein Büschel blühendes Seifenkraut heraus, und dieser unglaublich süße Duft erfüllte mich mit einer solchen Freude, daß ich in Tränen ausbrach. Mitten auf dem Weg umarmten wir uns und hörten nicht mehr auf zu weinen, wir alle drei, denn die eine steckte die andere an. Da glaubte ich, ein Geräusch zu hören, und sagte: Jetzt ist es genug, denn daheim haben sie vielleicht irgendwie erfahren, daß wir kommen werden. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen, als wir an den ersten Häusern vorbeikamen, doch auch dieses Mal ließ sich niemand blicken.
    Es dämmerte bereits. Zeit, die Kühe in den Stall zu bringen. Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Zeit für einen kurzen Plausch am Brunnen, aber nur solange, wie man für ein Vaterunser braucht!
    Ich sah, wie von der Tränke her eine Frau auf uns zukam. Das war Delina. Sie fing an zu laufen und warf sich in meine Arme. Immer wieder sagte sie: Was für ein Unglück, Conxa

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