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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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… Da begriff ich, daß ich nicht mehr weiter träumen konnte, daß alles Wirklichkeit war, und ich löste mich sanft aus ihrer Umarmung und ging mit großen Schritten auf unser Haus zu. Kaum hatte ich die Türschwelle betreten, umschlang der kleine Mateu meine Beine, und die Mädchen fielen der Tante in die Arme. Es war das zweite Mal, daß ich sie weinen sah …
    Und dann schleppte ich die Matratze in die Küche und setzte mich auf die Bank, mit dem Jungen auf meinem Schoß, und ließ Elvira und Angeleta alles erzählen, ganz durcheinander, und die Tante Fragen um Fragen stellen, ohne daß sie selbst gesagt hätte, wie es ihr ergangen war.
    Und die Gewißheit, daß es keinen Jaume mehr gab. Es war, als ob ein Windstoß ihn einfach weggeweht hätte. Ich hatte keine Kraft mehr zu atmen, ich konnte nicht einfach weitermachen wie zuvor, nicht mehr die sein, die ich gewesen war. Meine Hand lag auf dem Tisch, den er gezimmert hatte, und da wollte ich nur noch, daß das Holz mich zerschmettert, nichts von mir sollte mehr übrigbleiben.
    Ich ging durch das Haus, und am meisten wunderte ich mich über all die Spinnweben. Die Tante war wirklich alt geworden, das sah ich jetzt. Von der Küchendecke hingen diese dunklen Flusen, die einen zu beobachten schienen. Und als ich unser Zimmer betrat, nein, nur mein Zimmer war das ja jetzt, und auf das Kopfende des Bettes zuging, da verfingen sich meine Arme in feinen Fäden. Lange Spinnweben waren das, die das gemachte Bett zu bewachen schienen …
    Sobald ich in die Nähe der Tür kam, hab’ ich gleich daran denken müssen, daß ihr ja nicht da seid. Vor lauter Kummer und Wut fing ich jedesmal an zu zittern. Keine zwei Schritte konnte ich in das Zimmer gehen, gestand mir die Tante.
    Ich nahm einen Besen und fing an, die Spinnweben wegzumachen, und manchmal, da flohen die Spinnen ganz überstürzt aus ihrem Netz, so überrascht waren sie. Sofort schlug ich mit aller Kraft ein oder zweimal auf sie drauf, bis sich unter dem Besen nichts mehr bewegte. Dann war mir, als sei die Spinne bloß ein Hirngespinst gewesen, das sich in nichts aufgelöst hätte. Und sofort dachte ich wieder, vielleicht stimmt es ja gar nicht, und Jaume ist überhaupt nicht tot, und jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, da höre ich gleich seine Stimme, wie er mir von der Treppe aus zuruft: Na, was gibt’s denn heute zum Essen?
    Jede Menge Spinnen hatte ich schon getötet, und als ich den Besen draußen an der Wand hinter dem Heuschober saubermachte, weil dort nämlich die Steine ein gutes Stück herausragten und so der ganze Staub gleich abging, da liefen mir mit plötzlich heiße Tränen über das Gesicht. Ich wußte nicht, wie mir geschah, und obwohl ich doch allein war, versuchte ich, dasWeinen zu unterdrücken. Mit einem Mal wurde mir klar, daß ich niemals mehr diese Stimme hören würde, die mir so schöne Dinge wie niemand sonst in meinem ganzen Leben gesagt hatte. Das war die einzige Gewißheit, die ich hatte, und ich war siebenunddreißig Jahre alt. Da kam Mateu auf mich zugelaufen, und er hatte ein kleines Kaninchen auf dem Arm. Er sagte, es gehöre ihm und wir dürften es niemals schlachten. Ich ließ den Besen fallen und umarmte den Kleinen so fest, daß er richtig Angst bekam, noch dazu, wo ich in diesem Augenblick voller Verzweiflung aufschluchzte. Mit einem Sprung ergriff das erschreckte Kaninchen die Flucht, und der Junge riß sich los von mir und lief dem Tier nach, was seine kleinen Beine hergaben.
    Das war ein denkwürdiges Reinemachen. Nicht eine Ecke ließ ich aus, so als hätte ich Angst, daß sich die Flöhe, die wir uns im Lager eingehandelt hatten, in den Wänden einnisten könnten. So klein sie auch sein mochten, ich wurde das Gefühl nicht los, in der Nacht könnten diese Augenpaare unseren Schlaf belauern.
    Ich ärgerte mich über die Mädchen, die sich nur oberflächlich waschen wollten, und ich schrie sie an, daß nach all dem, was wir durchgemacht hatten, wohl etwas mehr als eine Katzenwäsche nötig sei. Sie schauten mich mit großen Augen an, und ich sah, wie ihre Verwunderung in Mitleid umschlug. Und schließlich sagten sie ja zu allem, und da gab ich mich innerlich schon geschlagen und war kurz davor, ihnen zu sagen, daß es im Grunde ganz egal sei.
    Wie besessen unterzog auch ich mich einer Waschung von Kopf bis Fuß, so als ob sie meinen Körper mit Blut und Angst und Elend besudelt hätten und dieses Bad auch die letzte Spur davon tilgen könnte. Damals schien es, als würde

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