Wie ein Stein im Geroell
ganze Zeit ums Herz gewesen war. Wie dumm von mir, als ob sie mich zum Markt gebracht hätten, um mich dort wie irgendeine Kuh zu verkaufen. Aber eigentlich ging es ja auch gar nicht darum. Ich wollte nur die Tante umarmen, die nicht mit nach Monsent gekommen war. Sie war Mutters Schwester, und mit dem Onkel hatte ich doch nichts zu schaffen.
Ich weiß nicht, warum ich dachte, sie würden außerhalb der Ortschaft leben. Daß ich mich geirrt hatte, merkte ich, als der Onkel zwischen den Häusern einen Weg einschlug, der geradewegs zum Dorfplatz führte. Ich spürte, wie meine Wangen glühten, als die Leute den Onkel grüßten und mich dabei anschauten. Schließlich blieben wir vor meinem neuen Zuhause stehen, und der Onkel stieg vom Maultier ab. Die Frauen, die inmitten schreiender Kinder einen Schwatz gehalten hatten, hörten mit einem Mal auf zu reden, und alle kamen sie näher, um mich anzuschauen und den Onkel auszufragen.
Ramon, was für ein hübsches Mädchen hast du da vom Markt mitgebracht. Wir hätten nicht gedacht, daß du so einen guten Geschmack hast … Das ist die Nichte aus Ermita, die wird den Winter bei uns verbringen.
Ich wußte nicht, wohin ich schauen sollte. Alle Augen waren auf mich gerichtet, und wie ich so still dastand, spürte ich, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte und der Schweiß mir die Oberschenkel wundgescheuert hatte. Im Kopf war mir ganz schwindelig vor lauter Nachdenken, und weil sich alle Gedanken im Kreis drehten. Da kam mir die Tante zur Hilfe. Sie schob die Neugierigen einfach beiseite und nahm mich ganz fest in ihre Arme. Und am Ende brach ich doch in Tränen aus, denn diese liebevolle Geste hatte die ganze Mauer aus Rechtfertigungen, die ich gegen die Traurigkeit errichtet hatte, in einem einzigen, unerwarteten Augenblick zum Einsturz gebracht. Die Tantefaßte mich um die Taille und hob mich dabei fast vom Boden hoch, wich den Leuten aus und brachte mich die Treppe hinauf ins Haus.
Erst in der Küche sagte sie etwas zu mir. Wir waren durch einen langen und dunklen Flur gekommen, und als ich dann auf der Bank saß, hörte ich sie fragen: Warum weinst du denn?
D as Haus von Onkel und Tante war sehr groß, fast so groß wie das der Eltern in Ermita. Früher einmal war es dort sicher sehr lebhaft zugegangen, und bestimmt hatten viele Menschen in dem Haus gewohnt, denn außer dem Erdgeschoß gab es noch zwei Stockwerke und unter dem Dach einen Speicher.
Stall und Tenne nahmen den gesamten unteren Teil des Hauses ein, das unmittelbar an den Dorfplatz grenzte, und auf den gelangte man durch ein großes Tor. Seitlich davon führte eine Außentreppe hoch in den ersten Stock, der aber bloß aus einer kleinen Diele bestand, und von dort aus ging gleich wieder eine Treppe ins nächste Stockwerk. Auf der rechten Seite der Diele zweigte dann noch ein schmaler und verwinkelter Gang ab, der zu einem verschlossenen Zimmer führte und zu einem großen offenen Raum, in dem vor allem die Feuerstelle auf dem Boden mit ihrem rußgeschwärzten Kamin ins Auge fiel, dann noch ein kleiner Spülstein und ein langer Tisch mit einer Bank auf jeder Seite. Von diesem Raum aus konnte man in den Vorratskeller hinuntergehen, der einen winzigen Teil des Kuhstalls in Beschlag nahm. Im verschlossenen Zimmer befand sich schließlich die gute Stube, die aber nur zu besonders festlichen Gelegenheiten benutzt wurde.
Hinter dem Raum, der als Küche diente und in dem auch gegessen wurde, lag der Heuschober. Er hatte Bodenklappen, durch die man das Heu gleich in die Futtertröge für das Vieh fallen lassen konnte. Besser, man wußte ganz genau, wo sich diese Fallklappen befanden, denn du konntest schoneinen gehörigen Schreck bekommen, wenn du plötzlich mit einem Bein weggesackt bist, manchmal sogar bis fast auf die Kopfhöhe einer Kuh. Neben dem Heuschober gab es einen Käfig, der sah aus wie ein richtiges kleines Haus. Das war der Kaninchenstall. Als ob sie in Freiheit wären, sprangen dort ein halbes Dutzend kleiner Kaninchen herum und das Muttertier. Wenn ich ihnen ihr Futter brachte, mußte ich nur ein wenig den Kopf einziehen, denn drinnen konnte ich fast aufrecht stehen.
Im zweiten Stockwerk waren vier Schlafzimmer, jedes mit einem großen Eisenbett und einer Schüssel samt Krug als Waschgelegenheit. In den beiden größeren gab es außerdem ein Fenster und einen kleinen Kastenschrank, der in die Wand eingelassen war. Von diesem zweiten Stockwerk führte eine Stiege hoch zum Speicher,
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