Wie ein Wolf in der Nacht
Cash ihr einen Arm um die Schulter und führte ihren Arm um seine Taille. Es war nichts Zweideutiges daran, ebenso wenig wie an seinem Verhalten oder an dem Ton seiner Stimme. Cash wusste genau, wie ungeschickt sie war, und hielt sie nur deshalb an sich gepresst, damit sie nicht stolperte. Das Problem war nur, dass sie trotz seiner prosaischen, unromantischen Absichten keineswegs prosaisch oder unromantisch reagierte.
Beim Gehen lag seine Hüfte so ungefähr an ihrer Taille, und die Seite ihrer Brust strich wie selbstverständlich an seiner Taille entlang. Der warme, starke Körper unter seinem Flanellhemd regte ihre Sinne auf genau die Art an, die Cash bezweckt hatte. Denn Lexie war es völlig egal, ob sie sehen konnte oder nicht, ihre anderen Sinne genügten ihr vollauf.
Im Moment war ihr nichts so egal wie der Stand des Dow Jones oder der ihrer Aktienpakete.
„Okay, Lexie. Ich möchte, dass du dich jetzt langsam hinsetzt. Im Augenblick stehst du auf einem Felsen - einem großen von etwa eineinhalb Quadratmetern. Er ist ein wenig schräg und hat eine raue Oberfläche, aber es gibt genügend Platz, dass du dich hinsetzen kannst. Und ich bin genau neben dir. Weiter unten ist der Bach. Du wirst nicht fallen. Setz dich nur hin.
Lausch der Natur, nimm ihren Duft wahr, und atme tief durch."
"Okay." Nun ja, wirklich okay war es nicht. Sie wäre fast der Länge nach hingefallen, als sie versuchte, sich langsam hinzusetzen. Aber Cash gab ihr Halt, bevor es ihr richtig klar wurde.
Dann spürte sie den rauen, kühlen Felsen unter sich, wie Cash ihn beschrieben hatte. Und Cash setzte sich neben sie, wie er es versprochen hatte.
Dann, obwohl Lexie hätte schwören können, dass diese Übung bis jetzt ganz gut lief, ging plötzlich alles schief.
Es war dunkel unter dem Tuch, logischerweise. Aber es war nicht der Duft von Bäumen und Erde und einem nahenden Frühlingsschauer, den sie einatmete. Ihre Sinne waren auf eine dunkle Nacht gerichtet, auf einen Albtraum, der Ewigkeiten her war...
Sie war drei Jahre alt und kauerte sich leise weinend in die Ecke eines Schrankes, der finster, staubig, etwas muffig und beängstigend war. Sie war barfuss, trug nur ihr Nachthemd und zitterte vor Kälte. Jemand war im Haus.
Sie wusste nicht, wer. Sie wusste nur, dass sie aufgewacht war und sich im Schrank versteckt hatte, weil etwas Fürchterliches geschah, etwas, das ihre Mutter wieder und wieder aufschreien ließ. Da hörte sie die Stimme ihres Daddys, flehend und voller Verzweiflung, und dann eine Explosion.
"Hörst du den Wasserfall, Lexie? Und am Rand wachsen Veilchen. Nur zehn Meter von dir ist ein Eichhörnchen. Ich weiß, du kannst es nicht sehen, aber wenn du dich konzentrierst, kannst du es bestimmt hören. Es tanzt und hüpft überall herum...“
Sie hörte Cash. Sie hörte ihn, aber...
Ein netter Mann in Polizeiuniform öffnete die Schranktür, er holte sie behutsam heraus, sprach beruhigend auf sie ein und versuchte, sie aufzuwärmen. Aber sie begriff, dass ihre Eltern für immer fort waren. Sie wusste es einfach. Ein Gefühl unendlicher Hilflosigkeit und Einsamkeit überwältigte sie. Sie konnte es nicht ertragen. Sie hasste es, hilflos zu sein damals und jetzt. Jetzt war sie achtundzwanzig, nicht drei. Sie wusste genau, dass es nur Erinnerungsfetzen aus ihrer Kindheit waren und keine Wirklichkeit, aber die Dunkelheit unter der Augenbinde schien alles wieder zurückzubringen - das Gefühl des Entsetzens und des unerträglichen Verlusts, die Wut und die Hilflosigkeit ...
"Gütiger Himmel! Lexie ... He, Kleines!" Cash riss ihr die Binde von den Augen. Sie sah das blendende Sonnenlicht und die Panik in seinen Augen. "Was geschieht mit dir? Du hättest das Tuch doch jederzeit abnehmen können, wusstest du das nicht? Himmel, ich wollte dich nicht so aufregen, Lexie. Wie sollte ich ahnen, dass dich etwas so sehr quält? Schon gut, Lexie, schon gut. Beruhige dich."
Die Symptome waren ihr nur allzu vertraut. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Ihr Puls raste wie wahnsinnig.
Ihre Handflächen waren feucht und eiskalt. Sie konnte nicht atmen, sie konnte nicht denken. Und sie konnte nicht damit aufhören.
Lexie hätte sich am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst. Aber wenn sie von einem ihrer Panikanfälle gepackt wurde, fühlte sie sich, als ob sie das Gewicht eines riesigen Steins auf ihrer Brust hätte, und sie war immer viel zu erstarrt, um sich zu bewegen.
"Ich bin schon okay", stieß sie keuchend hervor.
"Sag
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