Wie einst in jenem Sommer
die Eröffnung von Jos und Theos Testament. Seite an Seite hatten Andreas und sie in einer verstaubten Kanzlei gesessen und den Worten des Notars gelauscht. Nun war Andreas auch offiziell Lillys Vormund. Er und Carrie wurden mit der Verwaltung eines beachtlichen Vermögens beauftragt, das Lilly an ihrem achtzehnten Geburtstag zur Verfügung stehen sollte.
Nach dem Notartermin waren sie auf den Friedhof gegangen und hatten Blumen auf das Grab gelegt.
Carrie kamen die Tränen, als sie sich daran erinnerte. Beschützend hatte Andreas den Arm um ihre bebenden Schultern gelegt. Es war die erste Berührung seit dem Heiratsantrag gewesen.
Sie sehnte sich so sehr nach seinen Liebkosungen.
„Schau mal, am Horizont taucht Mykonos auf.“ Andreas setzte sich zu ihr.
Tatsächlich! Kahle Hügel ragten steil aus dem Meer empor. Als sie näher kamen, konnte Carrie weiß getünchte Häuser ausmachen, die sich um den hufeisenförmig angelegten Hafen gruppierten.
„Von hier aus wirkt die Insel wie von Kinderhand gemalt“, sagte Carrie amüsiert.
„Stimmt. Mykonos ist übrigens das reinste Künstlerparadies.“ Andreas hatte das Ruder übernommen und steuerte die Jacht geschickt zum alten Hafen. „Die Stadt ist der reinste Irrgarten mit all den engen verwinkelten Gassen. Angeblich wurde sie so angelegt, um Piraten in die Irre zu führen.“
„Das klingt ja spannend.“
„Ist es auch. Übrigens gibt es hier auch Designerboutiquen. Wenn du also noch ein passendes Outfit für morgen brauchst, bist du hier goldrichtig.“
„Eigentlich wollte ich das Kostüm anziehen, das ich bei meiner Ankunft getragen habe.“
„Aber Carrie, du darfst dem Bräutigam doch nicht verraten, was du zur Trauung anziehst!“ Spielerisch drohte er ihr mit dem Finger. „Jetzt musst du dir etwas Neues kaufen. Du bekommst deine eigene Kreditkarte. Ich gebe sie dir, sobald wir an Land sind. Dann kannst du nach Herzenslust einkaufen.“
„Ich habe mein eigenes Geld, Andreas. Warum sollte ich deins ausgeben?“
„Weil ich jede Menge davon habe.“ Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Ich kann dir kaufen, was immer du möchtest.“
„Darum geht es doch gar nicht. Ich bin immer unabhängig gewesen und möchte es auch bleiben.“
„Das ist aber nicht mehr nötig. Außerdem musst du als meine Frau entsprechend auftreten.“
Entsetzt sah Carrie auf. „Willst du damit sagen, dass Paparazzi Hochzeitsfotos machen werden?“
„Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Außer uns weiß ja kaum jemand, wann und wo wir heiraten. Es sei denn, du hast es deinen Kollegen erzählt, als du deinen Job gekündigt hast.“
„Ich habe noch gar nicht gekündigt“, gestand sie leise.
„Wieso nicht? Das wolltest du doch gleich am vergangenen Montag erledigen.“
„Stimmt, aber ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.“
„Etwa bei dem Typen in London? Mit dem hast du aber Schluss gemacht, oder?“, fragte Andreas misstrauisch.
Verflixt, diese Notlüge mit Mike wird mich wohl ewig verfolgen, dachte Carrie ärgerlich und schob sich das Haar aus dem Gesicht. Es wäre der geeignete Zeitpunkt, Andreas zu gestehen, dass die Affäre schon lange beendet war. „Andreas, ich …“ Bei seinem forschenden Blick verließ sie der Mut. „Ich habe dir doch gesagt, dass Lilly oberste Priorität genießt. Natürlich ist die Beziehung mit Mike beendet“, sagte sie leise. „Schließlich heirate ich dich morgen.“
Noch immer sah er sie forschend an. „Und wieso hast du nicht gekündigt?“
„Weil mein Chef nicht da ist. Sowie er von seiner Geschäftsreise zurückgekehrt ist, rede ich mit ihm. Ich würde gern freiberuflich weiter für ihn arbeiten. Mit Internet und E-Mail und so ist das ja kein Problem.“
„Ach so. Von mir aus. Aber du brauchst nicht zu arbeiten, das weißt du, oder?“
„Ja, aber es wäre mir wichtig.“ Carrie ließ den Blick übers Meer gleiten. Sie wollte von Andreas nicht finanziell abhängig sein, so wie ihre Mutter es von ihrem Mann gewesen war – mit verheerenden Folgen.
„Ich kann es noch immer nicht glauben, dass wir tatsächlich morgen heiraten“, sagte sie leise.
„Da bist du nicht die Einzige. Meinen Vater hat die Neuigkeit auch völlig überrascht.“
„Wahrscheinlich hatte er gar nicht mehr damit gerechnet, dass du mal in den Hafen der Ehe einlaufen würdest.“
„Mag sein.“ Andreas lächelte amüsiert.
„Weiß er, dass wir nur Lilly zuliebe heiraten?“
„Nein. Damit wollte ich ihn nicht
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