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Wie es dem Glück beliebt

Wie es dem Glück beliebt

Titel: Wie es dem Glück beliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Johnson
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jedoch langsam dem Horizont näherte, verlor Sophie das Interesse an dem seltsamen Gefühl. Wenn sie nicht bald eine Zuflucht fanden, würden sie nachts draußen festsitzen, in der Dunkelheit. Sophie dachte nicht, dass sie noch eine weitere Nacht wie die vorangegangene ertragen konnte.
Mal nicht den Teufel an die Wand
, ermahnte sie sich stumm. Der Himmel war klar. Wenn es so blieb, und wenn das Mondlicht hell genug war, würde alles gut sein.
Geh einfach weiter
, sagte sie sich.
Geh einfach weiter
. Sie richtete den Blick auf den Horizont und zwang ihre protestierende Beine zu längeren und schnelleren Schritten.
    »Dieser Baum ist riesig.«
    Sophie schreckte aus ihrer selbst auferlegten Trance hoch und folgte Alex’ Blick zu einer turmhohen Ulme, deren Zweige die Stelle überschatteten, wo sie standen.
    Und plötzlich begriff sie, warum ihr alles so vertraut gewesen war.
    Sie drehte sich auf der Straße einmal um sich selbst.
    Sie kannte diese Straße, diese Stelle, diesen Baum.
    Alex, der weitergegangen war, blieb stehen und drehte sich wieder um. »Sophie?«
    Sie antwortete ihm nicht. Sie konnte nicht sprechen, nur den Baum anstarren. Benommen zuerst, während Erinnerungen so schnell zurückkehrten, dass sie eine nicht von der anderen unterscheiden konnte. Und dann mit einer Art wachsenden Staunens, die sie niemals von diesem Ort erwartet hätte.
    »Sophie?«, wiederholte Alex, als er sie erreichte. Er folgte ihrem Blick zu der Ulme. »Sie ist beeindruckend, ich weiß, aber wir müssen weitergehen, wenn …«
    »Ich bin schon einmal hier gewesen«, flüsterte sie.
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Ich weiß, wo wir sind. Diese Straße führt nach Whitefield«, sagte sie, während sie immer noch den Baum anstarrte.
    »Das würde eine Menge erklären«, bemerkte Alex. Allerdings nicht unbedingt, warum der Anblick dieses Baums sie derart in seinen Bann geschlagen hatte. »Was ist los, Sophie?«
    »Hier ist es passiert.«
    Ihre Stimme war leise. So leise, dass er sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen. »Was ist hier passiert, Liebes?«
    »Hier sind sie gestorben.«
    Mit einem Gefühl der Hilflosigkeit hob er eine Hand, um ihr besänftigend über die dunklen Locken zu streichen. »Sie meinen, Ihre Mutter und Ihre Schwester?«, fragte er behutsam.
    Sie nickte, aber da war mehr als Traurigkeit in ihren Augen. Da war eine stille Ehrfurcht. Und, so begriff er mit wachsendem Entsetzen, Erinnerung.
    »Waren Sie dabei, Sophie? Haben Sie gesehen, wie es passiert ist?«
    Wieder nickte sie und zeigte auf den Baum. »Ich erinnere mich an diesen Baum.«
    Alex hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt. »Es tut mir leid, Liebling. Es tut mir so leid.«
    »Wir haben ein Rad verloren, glaube ich, oder vielleicht sind wir einfach von der Straße abgekommen. Ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich überhaupt an nicht viel, bis auf diesen Baum und daran, wie kalt es war.«
    Und die Dunkelheit. Oh, wie gut sie sich an die Dunkelheit erinnerte.
    »Später hieß es, der Kutscher sei sofort tot gewesen. Mama muss es gewusst haben, denn sie stieg für eine Weile aus der Kutsche, und als sie zurückkam, sagte sie, wir müssten nur Geduld haben, bis Papa uns holen käme. Ich dachte, alles sei gut …«
    »Ihre Mutter ist ausgestiegen? Ich dachte …«
    Sie drehte sich zu ihm um, um ihn für einen Moment anzusehen. »Dass sie bei dem Unfall umkam?« Sie schüttelte den Kopf und schaute wieder zu dem Baum hinüber. »Mama und Lizzie waren nicht einmal verletzt, soweit ich weiß.«
    Er wartete einen Augenblick, bis sie weitersprach. Als sie stumm blieb, sagte er: »Ich verstehe nicht, Sophie.«
    »Es hat geschneit«, sagte sie leise. »Es gab einen Schneesturm, und Papas Männer konnten erst am Morgen zu uns durchkommen. Mama und Lizzie sind eingeschlafen.«
    »Aber Sie nicht«, sagte er. »Sie sind wach geblieben, nicht wahr?«
    Ein trauriges Lächeln zuckte um ihren Mundwinkel. »Es war dieser Baum«, erwiderte sie und deutete auf die gewaltige Ulme. »Ich konnte durch den Schnee und die Dunkelheit gerade noch seine Umrisse erkennen. Ich war alt genug, um es besser zu wissen, aber wann immer ich versuchte, die Augen zu schließen, sah ich die knorrigen Äste nach mir greifen, und die Vision ließ mich aufschrecken. Die ganze Nacht über habe ich die Ulme beobachtet – ich dachte, sie wäre ein Ungeheuer.«
    Alex betrachtete den Baum mit so etwas wie Dankbarkeit. Er hatte Sophie das Leben gerettet. »Was sehen Sie

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