Wie es Euch gefaellt, Mylady
zu nehmen? Absurde Vorstellung. Wenn jeder Soldat nach Kriegsende seinen privaten Kleinkrieg weiterführte, gäbe es niemals Frieden in der Welt. Laut Auskunft des Kriegsministeriums und Hartwells Informationen war Auclair nach seiner Niederlage in Sagunt nicht aus dem Militärdienst entlassen worden. Im Gegenteil: Berichten zufolge, die Heath vor einiger Zeit gelesen hatte, war Auclair in Napoleons Gunst gestiegen, bevor er den Militärdienst aus freien Stücken quittiert hatte. Zum ersten Mal wünschte Heath sich ein Gespräch mit Russell, um diese bohrenden Fragen zu klären. Gemeinsam könnten sie einen Plan entwickeln, um Auclair endlich zur Strecke zu bringen.
„Heath? Bist du das, der sich da hinten im Schatten versteckt?“
Plötzlich tauchte die anmutige Gestalt seiner Schwägerin Jane auf. Sie stand am Fuß der Treppe in einem pelzgesäumten Reisemantel, die Hand an der Brüstung.
Er trat lächelnd auf sie zu. „Wie geht es unserer werdenden Mutter?“
„Ich fürchte, ich brüte ein Monster aus, wenn ich bedenke, welche absurden Gelüste nach den unmöglichsten Speisen mich befallen.“ Sie musterte sein Gesicht besorgt im flackernden Lampenschein. „Ach du liebe Güte. Deiner finsteren Miene entnehme ich, dass du die Neuigkeiten bereits kennst.“
„Welche Neuigkeiten?“
Sie tätschelte beruhigend seinen Arm. „Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass du stark sein musst. Als Boscastle bist du ja an Skandale gewöhnt.“
„Wovon redest du eigentlich, Jane?“
Sie druckste ein wenig herum. „Ich bin sicher, Julia hat sich nichts Böses dabei gedacht. Es gibt gewiss eine harmlose Erklärung dafür.“
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wofür?“
„Irgendwann wird auch dieser Skandal vergessen sein“, sagte sie ausweichend. „Davon kann ich schließlich ein Lied singen.“
„Welcher Skandal?“
Sie machte kehrt und stieg ein paar Stufen hinauf, der Saum ihres Mantels fegte über die Treppe. „Betrachte es als Kunstwerk, Heath“, rief sie ihm über die Schulter zu.
Hörte er etwa einen spöttischen Unterton in ihrer Stimme? „Was soll ich als Kunstwerk betrachten, Jane?“
Sie entschwand. Und ihre letzte Bemerkung konnte er kaum noch hören. „Nimm es einfach … als Kompliment.“
Ein paar Minuten später wurde ihm klar, was Jane mit ihren rätselhaften Bemerkungen gemeint hatte. Grayson erwartete ihn im offiziellen Empfangszimmer. Ein feierlicher Raum, in dem die Familie sich zu Lebzeiten des Vaters zu versammeln gepflegt hatte, um mahnende Vorträge des Patriarchen über sich ergehen zu lassen. Ein Raum, in dem Verlobungen bekannt gegeben wurden und in dem man sich versammelte, wenn ein Todesfall zu beklagen war.
Der Marquess stand vor dem mannshohen Marmorkamin, immer noch in seinen lehmbespritzten Reitstiefeln, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Hermia und Odham saßen steif auf dem Damastsofa, Julia eingezwängt in ihrer Mitte.
Heath suchte Julias Blick, sie aber hielt die Augen züchtig auf ihre im Schoß gefalteten Hände gesenkt. Ein schlechtes Zeichen. Hatte Hermia oder Grayson Verdacht geschöpft, was er und Julia in der Rüstkammer getrieben hatten?
Unvermutet sah sie auf, ihre grauen Augen suchten die seinen.
Er versuchte zu lächeln, aber sie senkte wieder verlegen den Blick. Sein Lächeln vertiefte sich, er fand ihre Schamhaftigkeit rührend, nach allem, was zwischen ihnen geschehen war.
Seine Gedanken wurden von der lauten Stimme seines Bruders unterbrochen, der offenbar sehr aufgebracht war. Es war zwar nichts Ungewöhnliches, dass Grayson sich im Ton vergriff und laut wurde, aber wieso diesmal? Heath ließ den Blick verdutzt über die Runde schweifen.
„Schreist du etwa mich an, Gray?“
Grayson musterte ihn finster. „Siehst du noch einen meiner skandalösen Brüder in diesem Zimmer?“
Heath straffte die Schultern, sein Lächeln gefror.
Als Grayson ein Papier hinter seinem Rücken hervorholte und damit in der Luft herumwedelte, wusste Heath immer noch nicht, worum es eigentlich ging. Wieder wurde er abgelenkt von Julia, Hermia und Odham, die aufgestanden waren und klammheimlich der Tür zustrebten. Sie ergriffen die Flucht.
„Ist etwas nicht in Ordnung, Grayson?“, fragte er ruhig.
Grayson näherte sich ihm. „Und dich hielt ich immer für den Verantwortungsbewussten in der Familie.“
„Der bin ich auch“, entgegnete Heath, nicht ohne Stolz.
„Ach ja?“, schnaubte Grayson verächtlich. „Ich war stets der Meinung, um
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