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Wie es Euch gefaellt, Mylady

Wie es Euch gefaellt, Mylady

Titel: Wie es Euch gefaellt, Mylady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jillian Hunter
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ihren Vater, den Viscount Margate, bis zu seinem Tode gepflegt hatte. Russell war fürsorglich und geduldig gewesen, hatte sich um die Formalitäten der Beisetzung gekümmert und Julia in allen juristischen Angelegenheiten beraten. Und er sehnte sich nach einer eigenen Familie, da er als einziges Kind seine Eltern früh verloren hatte und als Waise aufgewachsen war.
    Ohne Russells tatkräftige Unterstützung wäre Julia nur schwer über den Verlust ihres Vaters hinweggekommen. Sie war wie eine Schlafwandlerin durch einen Nebel gegangen, war kaum zu einem klaren Gedanken fähig gewesen. Der plötzliche Tod ihres Ehemanns hatte sie verstört, und zurück in England musste sie hilflos zusehen, wie auch ihr geliebter Vater dahinsiechte und starb.
    Sie hatte Russells Antrag angenommen, ohne eigentlich darüber nachzudenken, und hatte verschwommen geglaubt, ihre Gefühle für ihn würden sich vertiefen, sobald sie sich in ihrer neuen Lebenssituation zurechtgefunden hatte. Schließlich hatte Russell eine starke persönliche Ausstrahlung und einen festen Charakter.
    Nun blieb sie im Flur stehen, um sich in dem fremden Haus zu orientieren. Die Messingzeiger der hohen Standuhr in der Ecke näherten sich der Mitternachtsstunde. Sie hatte eine Verabredung und verspätete sich bereits. Eile war geboten, bevor Boscastle ihr Verschwinden aus dem Ballsaal bemerkte, wenn es ihm nicht bereits aufgefallen war. Es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Auch seine Wirkung auf sie durfte sie nicht verkennen. So sehr sie sich über das Wiedersehen mit ihm gefreut hatte, so wenig war sie davon überzeugt, dass es gut für sie oder ihn war. Es war höchst beunruhigend, feststellen zu müssen, dass sie ihre erste Begegnung mit ihm nicht überwunden und die Zeit seinen Reiz auf sie nicht gemindert hatte.
    Seine Nähe machte sie immer noch benommen und ließ ihr das Herz höher schlagen. Eine absurde Vorstellung für eine erwachsene Frau von fünfundzwanzig Jahren.
    Sie klappte ihren Elfenbeinfächer auf, in dem ein Zettel steckte mit einem flüchtig gezeichneten Grundriss des Hauses.
    Das Arbeitszimmer des Gastgebers war mit einem großen X markiert, musste also links in einem Seitenflur liegen, vier Türen entfernt.
    Sie fand ihr Ziel mühelos, stellte aber fest, dass die Tür verschlossen war. Julia legte das Ohr an die Füllung und hörte deutliches Rascheln von Papier. Mit gerunzelter Stirn klopfte sie leise.
    Einmal.
    Zweimal.
    Dreimal. Dann flüsterte sie ungeduldig: „Um Himmels willen, Tante Hermia, mach endlich auf, bevor man mich erwischt.“
    Die Tür flog auf. Das bleiche, längliche Gesicht ihrer Tante, umrahmt von silbrig blonden Löckchen, empfing sie mit vorwurfsvoller Miene. Julia drängte sich an ihr vorbei.
    „Wieso hast du mich nicht hereingelassen?“
    „Du hast das verabredete Klopfzeichen vergessen.“
    „Meine Güte“, entfuhr es Julia, als sie die zahllosen verstreuten Briefe und Umschläge auf dem Teppich liegen sah. „Hier sieht es aus wie nach einem Sturm. Hoffentlich hast du gefunden, wonach du suchst.“
    Hermia stellte eine Bodenvase mit Pfauenfedern wieder auf, die sie umgeworfen hatte. „Nein. Der Schurke versteckt seine Geheimpapiere zu gut.“
    „Dann räume wenigstens diese Unordnung wieder auf.“
    „Wieso sollte ich?“
    „Soll der Earl dich für eine Einbrecherin halten?“
    „Es ist mir völlig egal, wofür er mich hält.“
    Julia ging in die Hocke und begann, die verstreuten Briefe einzusammeln. „Hilf mir wenigstens.“
    „Na gut. Nein, diese Papiere gehören in die untere rechte Schreibtischschublade. Der Stapel mit dem roten Band kommt in diese Schachtel.“
    Julia kroch hinter ihrer Tante unter den Schreibtisch. „Hast du die hier gesehen?“, fragte sie und öffnete eine alte Ledermappe.
    „Nein.“ Hermia stutzte. „Die muss herausgefallen sein. Kannst du lesen, was drin steht?“
    Julia seufzte. „Wie denn? Es ist zu dunkel. Offenbar Geschäftskorrespondenz. Wollen wir sie uns näher ansehen?“
    „Dafür bleibt keine Zeit. Ich bin mit Odham eine halbe Stunde nach Mitternacht verabredet.“
    „Wie kannst du dem Mann in die Augen schauen, nachdem du in seinen Sachen geschnüffelt hast?“, fragte Julia kopfschüttelnd und kroch rückwärts unter dem Schreibtisch hervor.
    „Eine gute Frage“, ertönte eine tiefe kultivierte Stimme von oben. „Hoffentlich haben die Damen eine plausible Erklärung.“
    Julia richtete sich hastig auf. Er war ihr also gefolgt. Das hätte sie

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