Wie es uns gefällt
was für mich wertvoll ist, aber nicht für Sie, dann darf ich es behalten.›
‹Einverstanden.›
‹Einfach so?›
‹Es ist einfach, etwas zu verschenken, was mir nie gehört hat, Mr Ireland. Hier sind die Schlüssel der Haushälterin. Sobald Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind, wird das Haus verkauft.›
Am nächsten Morgen war ich wieder in der Knightrider Street. Meinem Vater gegenüber gebrauchte ich als Ausrede, ich würde die Bibliothek eines Gentlemans in der Bow Lane prüfen. Wie gesagt, dieses Abenteuer wollte ich mir unbedingt allein vorbehalten. Im Dachgeschoss des Hauses fing ich an. Jeder Raum wurde gründlich durchsucht. Bis auf die kleine Kammer, in der die betagte Haushälterin gewohnt hatte, war das Haus fast gänzlich unmöbliert. Es standen nur mehrere Truhen und Kästen herum, in denen ich weitere Dokumente entdeckte. Inzwischen war mir klar, dass Mr Strafford ein eingefleischter und begeisterter Handschriftensammler gewesen war. Hier fanden sich Sterberegister, endlos lange Schauspielertexte im Rollenformat, Diplomatenkorrespondenz und sogar Folioseiten einer illustrierten Bibel. Miss Lamb, Sie müssen mir sagen, wenn ich Sie langweile. Am zweiten Morgen fiel mir dann jene Urkunde mit der Unterschrift von William Shakespeare in die Hände. Mein Vater hat sie Ihnen eben erst gezeigt. Zuerst war mir der Name gar nicht aufgefallen, und ich hatte das Dokument mit einigen anderen Urkunden beiseitegelegt. Trotzdem muss mir irgendetwas ins Auge gestochen sein. Vielleicht war es nur die optische Nähe der Anfangsbuchstaben ‹W› und ‹Sh›. Jedenfalls nahm ich das Blatt noch einmal zur Hand. Eine Stunde später wanderte es bereits mit mir zur Buchhandlung zurück. Es war das vollkommene Geschenk für meinen Vater. Und dann habe ich gestern dieses Siegel gefunden.»
«Weiß diese Frau, dass es das Siegel gibt?» Mary hatte sich seine Geschichte angehört, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen, aber jetzt war sie sehr neugierig.
«Mrs Strafford? Aber ja. Leider schätzt sie es nicht. Sie interessiert sich keinen Deut für Shakespeare. Ihr fehlt unser – Enthusiasmus.»
«Ganz im Gegensatz zu ihrem Ehemann.»
«Ich bin mir noch nicht sicher, ob er diese Sachen bewusst gesammelt oder ob er das ganze Material wahllos angehäuft hat. Dazu muss ich erst noch viele Schachteln und Schatullen durchsuchen. Ich fühlte mich verpflichtet, meinem Vater die Sache mit den Strafford’schen Papieren zu erzählen, ohne dabei allzu sehr ins Detail zu gehen. Er wäre indiskret. Ich kenne ihn.»
«Ich beneide Sie.»
«Worum, Miss Lamb?» So etwas hatte noch niemand zu ihm gesagt.
«Sie sind auf der Suche. Sie haben ein Ziel.»
«So hochtrabend würde ich es nicht nennen.»
«O doch, ich schon.»
«Dann kann ich ja vielleicht mit Ihnen gemeinsam auf diese – diese Suche gehen.»
«Auf welche Weise?»
«Ich kann Ihnen meine Entdeckungen vorbeibringen. Meinem Vater werden sie gefallen und Ihnen sicher auch.»
«Würden Sie das tun?»
«Selbstverständlich. Freiwillig. Und gern. Und Sie dürfen es selbstverständlich auch ihrem Bruder erzählen.»
Obwohl sie bereits an der Catton Street angelangt waren, verspürten sie kein Bedürfnis, sich Adieu zu sagen. Und so spazierte Mary wieder mit William die High Holborn zurück. Aus unerklärlichen Gründen hegte sie für ihn ein sehr merkwürdiges Interesse. Sie spürte, dass er keine Mutter hatte, aber auch das vermochte sie nicht zu erklären. Vielleicht ließ seine starke Ausstrahlung auf eine gewisse innere Unruhe schließen. Später ließ sie gegenüber ihrem Bruder die Bemerkung fallen, William habe «einsame Augen». Für sie war das eine genaue Beschreibung, auch wenn Charles über ihre sentimentale Ader lachte.
«Von einsam ist es nicht weit bis zweisam», meinte er.
«Charles, bleib doch ernst.» Ihre Wangen hatten sich leicht gerötet. «Man muss ihn beschützen.»
«Wovor?»
«Das weiß ich nicht genau. Irgendwie scheint er gegen die ganze Welt anzukämpfen. Er meint, ihm sei Unrecht widerfahren, und wird deshalb weiterkämpfen.»
5
William Ireland hatte sich von Mary Lamb an der Ecke der High Holborn verabschiedet und ihr nachgeblickt, wie sie in der Menge verschwand. Danach war er in die Buchhandlung zurückgegangen, wo er nur noch seinen Vater vorfand. Samuel Ireland lief aufgeregt hin und her. Die Absätze seiner Lacklederschuhe klackten auf dem Holzboden.
«Mr Malone lässt schön grüßen. Er musste noch zu
Weitere Kostenlose Bücher