Wie Fackeln im Sturm
zweiten Reiters, aschfahl und stumm. Zunächst glaubte ich, auch sie wäre tot, bis die Reiter uns erreichten und ich sehen konnte, dass die Kleine am ganzen Leib zitterte.“
„Was war der Tochter der Köchin widerfahren?“ fragte Hugh neugierig.
„Ihr Genick war gebrochen“, erwiderte er rundheraus. Lord Wynekyn machte eine gewichtige Pause, bis seine Worte gesackt waren, und fuhr sodann fort: „Willas Beschreibung zufolge hatten die Mädchen Fangen gespielt. Luvena, die Tochter der Köchin, war ihr einige Schritte voraus gewesen. Willa folgte ihr auf eine Lichtung, als das Mädchen über ihr von einem Felsen stürzte. Zunächst glaubte sie, ihre Freundin habe einen kleinen Felsen erklommen, um sich zu verstecken, und sei dann hinabgestürzt. Willa war ganz außer sich. Luvena war wie eine Schwester für sie.“
Einen Moment lang herrschte im Raum gedrücktes Schweigen; dann fuhr Lord Wynekyn fort: „Es war kurz nach dem tragischen Vorfall, als Richard mich bat, Willas Patenonkel zu werden. Ich hatte immer vermutet, dass sie ein uneheliches Kind von ihm sei, aber er klärte mich auf. Er versicherte mir, sie sei weder ein Bastard noch sein eigenes Kind. Man hatte sie in seine Obhut gegeben, ihm sozusagen in letztwilliger Verfügung vermacht, und daher hatte er sie Willa genannt. Und er hatte bei seiner Ehre gelobt, sie mit seinem Leben zu beschützen. Er liebte sie wie seine eigene Tochter. Natürlich konnte ich nicht ablehnen. Sie war ein so bezauberndes Mädchen mit einer goldenen Lockenpracht und einem betörenden Lächeln.“
Ein sanfter Zug lag um seinen Mund. „Jedes Mal, wenn ich zu Besuch kam, tollte sie mit Wolfy und Fen herum und jagte den Vögeln hinterher.“ Er seufzte, und sein Blick verlor sich in fernen Erinnerungen; dann zog er die Stirn in Falten. „Doch sie spielte nie mit anderen Kindern. Niemals hat sie sich später mit einem anderen Mädchen angefreundet. Ich …“
„Einen Augenblick“, unterbrach Hugh den Lord. „Wann sind Onkel Richard und Willa von Claymorgan hierher gezogen?“
„Oh, tut mir Leid, ich vergaß, Euch davon zu berichten.“ Lord Wynekyn gab einen schnalzenden Laut von sich und schien sich im Stillen für seine Vergesslichkeit zu tadeln. „Nach dem Mord beschloss er, dass Willa hier sicherer wäre …“
„Mord?“ rief Jollivet mit hoher Stimme aus. „Was für ein Mord?“
Allmählich fühlte Lord Wynekyn sich durch die ständigen Unterbrechungen gestört. „Aber das habe ich Euch doch sicher erzählt. Die Tochter der Köchin.“
„Die Tochter der Köchin wurde ermordet?“ fragte Hugh. Als der ältere Mann bedeutungsvoll nickte, beschwerte Hugh sich: „Aber Ihr sagtet doch, sie habe sich das Genick gebrochen.“
„Ja. Nun, das nahmen wir zunächst an. Aber obgleich der Hals des Mädchens gebrochen war, kamen wir zu dem Schluss, dass es nicht durch den Sturz gekommen sein konnte. Auf dem Arm des Mädchens entdeckten wir blaue Flecke, als habe jemand sie hart gepackt. Auch an ihrem Hals waren Druckstellen zu erkennen, ebenso am Kinn und den Wangen, als habe jemand ihr Gesicht umfasst und ihr den Kopf herumgerissen. Richard glaubte – und ich stimmte ihm zu –, dass man ihr vorsätzlich das Genick gebrochen hat.“
„Warum sollte jemand die Tochter der Köchin töten?“ fragte Lucan verwundert.
„Weil der Mörder glaubte, Luvena wäre Willa“, erklärte Lord Wynekyn geduldig. „Die Tochter der Köchin war ein blondes Mädchen, und an diesem Tag hatten die Freundinnen ihre Gewänder getauscht. Deswegen irrte der Mörder sich.“ Er zuckte die Schultern. „Wie dem auch sei, nach Luvenas Tod war Richard davon überzeugt, dass Willa auf Claymorgan nicht mehr länger sicher war.“
„Sicher vor wem?“ erkundigte sich Jollivet. „Wer trachtete Willa nach dem Leben?“
Lord Wynekyn schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Das hat Richard mir nie anvertraut. Er ließ lediglich durchblicken, der Mörder sei ein sehr mächtiger Mann, und daher wolle er Willa keinen Tag länger dieser Gefahr aussetzen.“ Der alte Mann verstummte und wurde nachdenklich; dann schaute er seine Zuhörer an. „Richard hat alles getan, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Mitten in der Nacht ließ er Willa und Eada aus der Burg in Claymorgan schmuggeln und in die Hütte in der Nähe von Hillcrest bringen. Drei seiner vertrauenswürdigsten und erfahrensten Kämpfer begleiteten die Frauen. Alsneta, die Köchin, wurde hier auf diese Burg gebracht. Abgesehen von den
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