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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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leben und eine größere Reichweite haben, als es normalen Menschen früher jemals möglich war. Am 25 . Januar 2011 vereinnahmten die Demonstranten in Ägypten die offiziellen Feierlichkeiten zum nationalen Tag der Polizei; das war nur deshalb möglich, weil die Dissidenten ebenfalls eine öffentliche Repräsentation in einem Maßstab schaffen konnten, der dem des ägyptischen Staates gleichkam.
    Reduktionismus – die Interpretation einer großen Zahl von Wirkungen anhand einer kleinen Zahl von Ursachen – kommt in den Sozialwissenschaften selten vor, aber Sperber hat einen Rahmen geschaffen, in dem man große, unbestimmt formulierte Fragen nach der Kultur in eine Serie handhabbarer Forschungsprogramme auflösen kann. Die empirische Untersuchung des »Niederschlags von Kognition und Kommunikation« liegt größtenteils noch in der Zukunft, aber ich kann mir derzeit in den Sozialwissenschaften keine andere Strömung vorstellen, die ein derart großes Erklärungspotential besitzt.

Hugo Mercier
Metarepräsentationen als Erklärung für die Einzigartigkeit des Menschen
    Psychologe, Kognitionsforscher; Postdoc, Universität Neuchâtel
    Nur Menschen verstehen reibungslos die geistigen Zustände anderer. Nur Menschen bedienen sich eines offen angelegten Kommunikationssystems. Nur Menschen denken über die Ursachen ihrer Überzeugungen nach. Mit allen diesen Leistungen und auch anderen greifen Menschen auf ihre besondere Begabung zurück: die Fähigkeit, Repräsentationen zu repräsentieren – das heißt, Metarepräsentationen zu bilden. Hinter so banalen Gedanken wie »Mary glaubt, dass Paul glaubt, dass es gleich regnet« verbirgt sich die Erklärung für die Einzigartigkeit der Menschen.
    Man kann Repräsentationen auf zwei Wegen repräsentieren. Einer davon ist ungeheuer leistungsfähig, der andere ziemlich schwerfällig. Der schwerfällige Weg besteht darin, dass man für jede Repräsentation, die repräsentiert werden muss, eine neue Repräsentation schafft. Mit dieser Methode müsste Mary die Repräsentation »Paul glaubt, dass es gleich regnet« völlig unabhängig von ihrer eigenen Repräsentation »es regnet gleich« bilden. Sie müsste alle Rückschlüsse, die man aus »Paul glaubt, dass es gleich regnet« ziehen kann, neu bilden, darunter die negative Auswirkung auf Pauls Bereitschaft, joggen zu gehen, oder die höhere Wahrscheinlichkeit, dass er einen Regenschirm holen wird. Dieser schwerfällige Prozess müsste sich für jede neue Repräsentation, die Mary zuordnen will, wiederholen, von »Peter denkt, dass das Wetter gut aussieht« bis zu »Ruth hat Angst, dass der Dow Jones morgen in den Keller geht«. Mit einem solchen Prozess könnte man vermutlich die verblüffenden Fähigkeiten der Menschen, anderen Menschen praktisch jeden Gedanken zuzuschreiben, nicht erklären. Aber wie erklären wir diese Fähigkeiten dann?
    Die Antwort: Um anderen Gedanken zuzuschreiben, nutzen wir unsere eigenen Repräsentationen. Wenn Mary die Absicht hat, Paul die Überzeugung »es regnet gleich« zuzuschreiben, nutzt sie einfach ihre eigene Repräsentation »es regnet gleich« und bettet sie in eine Metarepräsentation ein: »Paul glaubt, dass es gleich regnet.« Da die gleiche Repräsentation genutzt wird, kann Mary sich der Rückschlüsse bedienen, die sie aus »es regnet gleich« zieht, um daraus auch Rückschlüsse aus »Paul glaubt, dass es gleich regnet« zu ziehen. Dieser Kunstgriff eröffnete den Menschen die Möglichkeit, ihr soziales Umfeld auf eine Weise zu verstehen, zu der es keine Parallele gibt.
    Die meisten Ansichten, die wir uns über andere bilden, gehen auf Kommunikation zurück: Die Menschen sagen uns, was sie glauben, wollen, wünschen, fürchten, lieben. Auch hier spielen Metarepräsentationen eine entscheidende Rolle: Um Sprache zu verstehen, müssen wir von der Äußerung – »es regnet gleich« – zu Metarepräsentationen – »Paul glaubt, dass es hier bald regnen wird« – gelangen.
    Mentalisierung – mit der wir anderen Gedanken zuschreiben – und Kommunikation sind für Metarepräsentationen die bekanntesten Anwendungsbereiche, sie sind aber nicht die einzigen. Unverzichtbar sind Metarepräsentationen auch, wenn wir über Gründe nachdenken. Wenn Menschen Argumente bilden und bewerten, bedienen sie sich ganz bestimmter Metarepräsentationen, beispielsweise wenn Mary »es regnet gleich« für ein gutes Argument für »wir sollten nicht hinausgehen« hält. Auch hier nutzt Mary ihre

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