Wie funktioniert die Welt?
altmodische Menschen würden Armbanduhren tragen. Ich selbst dachte, ich würde immer eine Armbanduhr benutzen. Heute habe ich keine mehr am Arm.
Woher weiß ich, wie spät es ist? Entweder komme ich ohne aus, oder ich habe den Blick auf einen Bildschirm gerichtet, der in der rechten oberen Ecke die Zeit anzeigt. Mittlerweile nehme ich es der Realität übel, dass sie die Zeit nicht in der rechten oberen Ecke anzeigt.
Tania Lombrozo
Realismus und andere metaphysische Halbwahrheiten
Assistenzprofessorin für Psychologie, University of California, Berkeley
Am tiefgreifendsten, elegantesten und schönsten sind jene Erklärungen, die für uns eine so überragende Überzeugungskraft besitzen, dass wir nicht einmal bemerken, dass es sie gibt. Bis man erkennt, dass sie vorhanden sind, und ihren Wert beurteilen kann, bedarf es unter Umständen einer jahrelangen philosophischen Ausbildung. Betrachten wir einmal drei Beispiele:
Realismus:
Den Erfolg unserer wissenschaftlichen Theorien erklären wir, indem wir auf das zurückgreifen, was Philosophen als Realismus bezeichnen – auf den Gedanken, dass sie mehr oder weniger wahr sind. Mit anderen Worten: Chemie »funktioniert«, weil Atome tatsächlich existieren, und Händewaschen verhütet Krankheiten, weil Krankheitserreger sich tatsächlich herumtreiben.
Der Geist der anderen:
Um zu erklären, warum Menschen so und nicht anders handeln, postulieren wir, dass sie über einen Geist verfügen, der mehr oder weniger unserem eigenen gleicht. Wir gehen davon aus, dass sie Gefühle, Überzeugungen und Wünsche haben und dass sie (beispielsweise) keine Zombie-Automaten sind, die nur überzeugend so handeln, als hätten sie einen Geist. Dies erfordert einen intuitiven Gedankensprung.
Kausalität:
Den vorhersehbaren Zusammenhang zwischen Ereignissen, die wir als Ursachen bezeichnen, und anderen, die wir Wirkungen nennen, erklären wir durch den Rückgriff auf eine rätselhafte Macht, die wir Kausalität nennen. Aber wie der Philosoph David Hume schon im 18 . Jahrhundert feststellte, entdecken »wir bei den einzelnen körperlichen Vorgängen … nur die Folge des Einen auf das Andere«, und wir beobachten niemals unmittelbar eine »Kraft oder Macht … durch welche die Ursache wirkt, und kein Band zwischen ihr und der angenommenen Wirkung«. [19]
Solche Erklärungen bilden das Kernstück für die Weltkenntnis der Menschen – für unsere intuitive Metaphysik. Außerdem machen sie die charakteristischen Kennzeichen einer befriedigenden Erklärung deutlich: Sie führen viele ganz unterschiedliche Phänomene durch den Rückgriff auf wenige zentrale Prinzipien zusammen. Mit anderen Worten: Sie sind weit gefasst, aber einfach. Mit Realismus kann man nicht nur den Erfolg der Chemie erklären, sondern auch den der Physik, der Zoologie und der Tiefsee-Ökologie. Der Glaube an den Geist anderer kann dazu beitragen, dass wir Politik, unsere Angehörigen und
Middlemarch
verstehen. Und die Annahme, dass die Welt von geordneten Kausalbeziehungen beherrscht wird, hilft auch bei der Erklärung der vorhersagbaren Zusammenhänge zwischen Mond und Gezeiten oder zwischen Koffeinkonsum und Schlaflosigkeit.
Dennoch wurde jede Erklärung irgendwann einmal ernsthaft angegriffen. Nehmen wir beispielsweise den Realismus. Viele unserer derzeitigen wissenschaftlichen Theorien sind zwar zugegebenermaßen eindrucksvoll, sie stehen aber am Ende einer langen Reihe von Fehlschlägen:
Alle
früheren Theorien waren falsch. Die Astronomie des Ptolemäus war gut im Rennen, aber dann kam die kopernikanische Revolution. Die Newton’sche Mechanik ist wahrhaft eindrucksvoll, aber letztlich wurde sie von der modernen Physik abgelöst. Bescheidenheit und gesunder Menschenverstand sprechen dafür, dass unsere heutigen Theorien genau wie ihre Vorgänger eines Tages über den Haufen geworfen werden. Aber wenn sie nicht wahr sind, warum sind sie dann so leistungsfähig? Intuitiver Realismus ist im besten Fall eine metaphysische Halbwahrheit, allerdings eine recht harmlose.
Aus diesen Beispielen leite ich zwei wichtige Lehren ab. Erstens: Tiefe, Eleganz und Schönheit unserer intuitiven metaphysischen Erklärungen können eine Verpflichtung mit sich bringen. Diese Erklärungen sind so weit gefasst und so einfach, dass wir sie im Hintergrund wirken lassen und uns ständig auf sie berufen, sie aber selten auf den Prüfstand stellen. Deshalb können die meisten von uns sie weder verteidigen noch
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