Wie funktioniert die Welt?
lange Sicht auszahlen. Eines Tages wird einer von ihnen eine Mama wie ich sein – stell dir das einmal vor! Und du wirst immer noch den Nutzen von ihr haben, auch wenn du und ich schon lange nicht mehr da sind. Auf diese Weise brauchst du dir nie Sorgen um Sex, Männer oder den ganzen Spermakram zu machen. Deine alte Mama hat hier schon alles, was man braucht. Du musst uns nur füttern und den Dreck wegräumen. Das ist ein gutes Kind – schon bist du weg, aber sprich nicht mit Fremden, vor allem nicht mit Männern!‹«
Wer bin ich? Ich bin ein Insekt, das zu einer Gesellschaft wird. Wenn ich allein mein Nest baue, muss ich Nahrung finden, das heißt, ich muss meine Jungen ungeschützt zurücklassen. Wenn einige meiner erwachsenen Kinder zu Hause bleiben und mir helfen, können sie auf Nahrungssuche gehen, und ich kann den Nachwuchs verteidigen. Ich kann auf diese Weise sogar noch mehr Junge bekommen, und das gefällt meinen Kindern, denn es bedeutet, dass ihre Gene durch die Geschwister in immer größerer Zahl weitergegeben werden. Ohnehin ist die Welt da draußen für den Nachwuchs ziemlich ungemütlich. Zu Hause zu bleiben ist viel ungefährlicher.
Ein paar Abwandlungen in den Details der beiden Skizzen, und ich könnte ebenso gut ein Gen sein, das zum Genom wird, oder ein Prokaryont, der zum Eukaryonten wird. Immer bin ich Teil des gleichen, grundlegenden Ereignisses auf dem Spielplatz der Evolution. Ich bin die Evolution von Hilfe und Kooperation. Ich bin der wichtige Übergang, der alle Ebenen der biologischen Komplexität prägt. Dass ich geschehe, liegt daran, dass ich meinesgleichen helfe und dass wir uns auf eine Arbeitsteilung einigen (na gut, ein paar Streitigkeiten gibt es, aber wir finden einen Ausgleich zwischen Konflikt und Kooperation, und manchmal ist auch ein wenig Zwang nicht verkehrt). Und ich helfe nicht deshalb, weil ich mich dabei wohl fühle, sondern weil ich paradoxerweise davon profitiere. Mein Geheimnis? Ich bin ziemlich wählerisch: Meinen Verwandten helfe ich gern, weil sie am Ende auch mir helfen und unsere gemeinsamen Gene weitergeben. Ich habe mir den Übergang von der Selbstständigkeit zur Kooperation zu eigen gemacht, und das fühlt sich gut an!
Die Evolution von Kooperation und hilfreichem Verhalten ist eine schöne, einfache Erklärung dafür, wie die Natur so komplex, vielgestaltig und großartig werden konnte. Das beschränkt sich nicht auf die charismatischen Erdmännchen oder die flauschigen Hummeln. Es handelt sich vielmehr um ein allgemeines Phänomen, das sich durch die guten, schlechten und hässlichen Seiten der Natur zieht und die biologischen Hierarchien schafft, die für die Natur charakteristisch sind. Gruppen von Individuen (Genen, Prokaryonten, ein- und vielzelligen Organismen), die sich früher selbstständig vermehren konnten, finden sich zusammen und bilden neue, komplexere, eigenständige Individuen. Diese neuen Kollektiv-Individuen können sich nur im Ganzen vermehren. Jeder Bestandteil ist einzeln nicht in der Lage, zu funktionieren oder Gene an die nächste Generation weiterzugeben.
Warum sich diese Komplexität entwickelt, erklärt die einfachste und eleganteste Regel der Natur: William Hamiltons 1964 veröffentlichte Theorie der Gesamtfitness, die auch das Wesen der natürlichen Selektion einschließt. Gebilde kooperieren, weil es ihre Fitness steigert – ihre Chance, Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Empfänger von Hilfe profitieren von der verstärkten eigenen Fortpflanzung – das ist direkte Fitness. Helfer profitieren von der Fortpflanzung der Gene, die sie mit den Verwandten, denen sie helfen, gemeinsam haben – indirekte Fitness. Dennoch haben wir auch einzeln lebende Insekten, einzellige Lebewesen und Prokaryonten, denn Arbeitsteilung entwickelt sich nur unter den richtigen Voraussetzungen: Der Nutzen muss größer sein als die Kosten, und diese Bilanz hängt davon ab, welche Möglichkeiten den Gebilden, die sich unabhängig vermehren, zur Verfügung stehen. Neben Verwandtschaft spielen auch Ökologie und Umwelt eine Rolle. Die so entstehende Arbeitsteilung ist die Grundlage des Soziallebens: Sie vereinigt Gene zu Genomen, Mitochondrien und Prokaryonten zu Eukaryonten, einzellige Lebewesen zu Vielzellern und alleinlebende Tiere zu Gesellschaften. Ohne die Evolution von Hilfe und Arbeitsteilung gäbe es keine Eukaryonten, keine Vielzeller, keine Tiergesellschaften – kurz gesagt, wäre unser Planet öde und
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