Wie funktioniert die Welt?
die natürliche Selektion für den Organismus eine maßgeschneiderte, artspezifische Umwelt. Und verschiedene Anpassungsprobleme lassen damit unterschiedliche Umweltbedingungen entstehen; deshalb haben einzelne Arten beispielsweise eine unterschiedliche Umgebung.
Was eine Umwelt ausmacht, hängt also von den Anpassungen des Organismus ab. Ohne angeborene, in den Genen enthaltene Informationen, die festlegen, was eine Umwelt ausmacht, würde keine Umwelt existieren. Deshalb ist die Umwelt keineswegs autonom, unabhängig und von der Biologie getrennt, sondern sie wird selbst teilweise durch die Biologie gestaltet. Umwelt ist also ein biologisches Thema, das zwangsläufig von biologisch gespeicherter Information ausgeht.
Aber sind wir heute nicht ohnehin alle Interaktionisten – nicht mehr Gene gegen Umwelt, sondern Interaktion von Genen und Umwelt? Ja, natürlich: Für Interaktion hat die natürliche Selektion unsere Gene gestaltet. Die Gene der Finken sind vollgestopft mit Informationen darüber, wie man aus den Sternen lernen kann, denn die Sterne sind ebenso ein unverzichtbarer Bestandteil des Finken wie das Ei, in dem er sich entwickelt, oder das Wasser, das er trinkt. Finken ohne Sterne sind dazu verdammt, zu Finken ohne Nachkommen zu werden. Aber Interaktion bedeutet nicht Gleichstand; zuerst muss die Information da sein. Probieren wir es einmal mit folgendem Test: Versuchen wir, »eine« Umwelt zu beschreiben, ohne zuerst etwas darüber zu sagen, ob es sich um die Umwelt eines Finken oder eines Menschen, eines Männchens oder eines Weibchens, eine Anpassung für die Orientierung von Vögeln oder für die menschliche Sprache handelt. Eine solche Aufgabe zu lösen ist unmöglich; die Beschreibung muss von den Informationen ausgehen, die in den Anpassungen gespeichert sind. Man kann den Gleichstand auch auf andere Weise in Frage stellen. Gene nutzen die Umwelt zu einem Zweck: zur Selbstverdoppelung. Die Umwelt jedoch hat keinen Zweck; sie bedient sich nicht der Gene. Die Gene von Finken sind also Maschinen, mit denen die Sterne in weitere Finkengene umgesetzt werden; die Sterne sind aber keine Maschinen für die Umsetzung von Finkengenen in neue Sterne.
In dem zweiten Beispiel geht es um den Begriff der Objektivität in der Wissenschaft. Hören wir uns weiter Darwins Klage über Missverständnisse im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Beobachtungen an: »Wie zutiefst unwissend muss er [dieser Kritiker] über die eigentliche Seele der Beobachtung sein! Vor ungefähr 30 Jahren wurde viel darüber gesprochen, dass Geologen nur beobachten und nicht theoretisieren sollten; und ich entsinne mich noch sehr gut, wie jemand sagte, in diesem Fall könne ein Mensch ebenso gut in eine Kiesgrube steigen, die Kiesel zählen und die Farben beschreiben.« [22]
Heute, 150 Jahre später, suchen Varianten dieser Denkweise immer noch die Wissenschaft heim. Betrachten wir beispielsweise einmal die lobenswerte, mittlerweile allerdings ein wenig angeschlagene Initiative zur Durchsetzung einer evidenzbasierten Politik. Was ist schiefgegangen? Nur allzu oft wurden objektive Befunde so betrachtet, als seien die Daten nicht durch die Voreingenommenheiten einer bereits vorhandenen Theorie verunreinigt. Aber was macht ohne »die eigentliche Seele« einer Theorie als Leitfaden eigentlich die Befunde aus? Objektivität heißt nicht, dass man alle vorherigen Annahmen beiseitelässt. Im Gegenteil: Je mehr man dies für möglich oder wünschenswert hält, desto stärker werden die unbemerkten, nicht hinterfragten Voreingenommenheiten, und desto geringer ist Objektivität. Im schlimmsten Fall kann man von vornherein ein erwünschtes, aber nicht deklariertes Ziel einschmuggeln. Und die Bilanz? Dieser gutgemeinte Ansatz wird häufig zu Recht als »politikbasierte Evidenzerzeugung« lächerlich gemacht.
Ein empörendes Beispiel stammt aus meiner eigenen Erfahrung der jüngeren Zeit und treibt mich noch heute voller Entsetzen um. Es stammt von einem Experten für »Geschlechterunterschiede«, dessen Forschungsgebiet die Diskriminierung von Frauen im Berufsleben ist. Er behauptete, seine Forschungsarbeiten seien völlig frei von vorgefassten Ansichten über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, und deshalb seien sie absolut neutral und vorurteilsfrei. Wenn sich aus den Daten gesetzmäßige Unterschiede ableiten ließen, würde er daraus die neutrale, vorurteilsfreie Annahme ableiten, dass sie das Ergebnis von Diskriminierung seien.
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