... Wie Gespenster in der Nacht
die sie hatten ertragen müssen. „Nun, deshalb bin ich ja hergekommen“, sagte sie schließlich.
„Dann bist du genau am richtigen Ort.“ Billie legte ihre Hand auf Fionas. „Und wir sind froh, dass du hier bist.“
Andrew trat über die Schwelle des Pubs und blieb eine Sekunde lang stehen, bis seine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Er brauchte einen Drink und ein bisschen Gesellschaft, bevor er nach Hause gehen und für die nächsten vierundzwanzig Stunden schlafen würde.
Andrew arbeitete immer vierzehn Tage am Stück. Es war harte Arbeit, die nie aufhörte und alles forderte. Bis zum Sommeranfang würde er noch zwei solcher Schichten fahren, bevor er dann bis zum Herbst freihatte. Diesen ungewöhnlichen Rhythmus hatte er von Anfang an vereinbart. Das Management murrte zwar jedes Jahr, wenn der Sommer kam, aber es bestand nie die Gefahr für ihn, dass er seinen Job verlieren könnte. Er war gut in dem, was er tat. Er arbeitete hart und konnte auf jahrelange wertvolle Erfahrung zurückblicken. Falls sein Boss sich darüber wunderte, dass er ein überaus großzügiges Gehalt gegen Touristen auf einem Fischerboot eintauschte, so behielt er seine Meinung für sich.
Der Abend war noch jung und der Pub noch halb leer. Während er über den Hund hinwegstieg, der lang ausgestreckt vor der Tür lag – ein Hund, der jenem erstaunlich ähnelte, der momentan bei Andrews Nachbarin untergekommen war –, begrüßte er die Männer, die er schon sein ganzes Leben lang kannte. Sobald er sicher auf der anderen Seite des Hundes angekommen war, ging er in die Hocke und kraulte Primrose kräftig die Schlappohren. Primrose drehte sich genüsslich auf den Rücken, die Pfoten angezogen, und ließ begeistert die Zunge aus dem Maul hängen. Primrose war Aprils Hund und der Bruder von Andrews. Abends, wenn April im Bett war, übernahm Primrose dann die Rolle des Wachhunds im Pub und legte sich vor die Tür.
Im Aufstehen drehte Andrew sich und blickte prompt auf eine Hand, die ihm ein Glas anbot. „Kannst du so was vielleicht gebrauchen?“
„Und ob.“ Andrew nahm Duncan den Drink ab und hob das Glas zum traditionellen gälischen Toast. „Slàintemhath.“ Dann stürzte er den heiß ersehnten Whisky in einem Schluck hinunter.
„Wohl ziemlich ausgetrocknet, was?“
„Während der Arbeit trinke ich grundsätzlich nicht.“
„Komm mit an die Bar und lass dir von Brian das Glas auffüllen.“
„Womit habe ich so viel Großzügigkeit verdient, Dunc? Hast du in meiner Abwesenheit etwa Schottland an Frankreich verkauft?“
„Leider nichts derart Lukratives. Ich möchte nur mit dir reden.“
Andrew war in den Pub gekommen für ein paar kräftige Schulterklopfer und um den neusten Dorftratsch zu erfahren, nicht für ein ernstes Gespräch. Sehnsüchtig dachte er an sein bequemes Bett und die Ruhe in dem Cottage, in dem er schon sein ganzes Leben wohnte. Inzwischen lebte er allein dort. Sein Vater war vor über zehn Jahren gestorben, und seine Mutter war irgendwo in die Pampa gezogen, um ihre Erinnerungen loswerden zu können.
„Ich hoffe doch, das Gespräch lässt sich relativ kurz halten? In den letzten achtundvierzig Stunden habe ich kaum die Augen zugemacht.“
„Es dauert nicht lange. Danach kannst du nach Hause gehen und meinetwegen bis zu deiner nächsten Schicht schlafen.“
„Könnte mir durchaus passieren.“
An der Bar ließen sie sich zwei Gläser mit dem besten Whisky des Pubs füllen und gingen dann zu ihrem Stammtisch in der Ecke. Andrew lehnte sich mit dem Stuhl zurück und musterte seinen Freund abschätzend. Duncan schien nach einer passenden Einleitung zu suchen. Was ungewöhnlich war. Normalerweise sagte er immer offen genau das, was er dachte, ohne Rücksicht auf Takt oder Diplomatie.
„Es geht um Fiona“, hob er schließlich an.
Alarmsirenen schrillten in Andrew los. „Was ist mit ihr? Ist ihr etwas passiert? Ist sie nach Amerika zurückgeflogen?“
„Nein, nichts dergleichen.“ Duncan nippte an seinem Whisky. Jetzt, da er die Einleitung hinter sich gebracht hatte, schien er zu überlegen, was er als Nächstes sagen sollte.
Andrew war ein geduldiger Mann. Aber heute nicht. „Könntest du endlich sagen, was los ist, Duncan? Sonst fängt meine nächste Schicht an, bevor du überhaupt einen Ton herausgebracht hast.“
„Fiona ist verletzlich, Andrew.“ Das Glas mit einer Hand abgedeckt, lehnte Duncan sich so weit vor, dass sie fast Gesicht an Gesicht saßen. „Ich
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