... Wie Gespenster in der Nacht
ich langsam gehen soll?“
Es war ihr peinlich, aber sie wusste auch, dass er eine ehrliche Erklärung verdient hatte. Er war ein zu guter Freund für Lügen oder Halbwahrheiten. „Vermutlich will ich einfach nur nicht, dass man mich für anders als andere hält.“ Sie lächelte zerknirscht. „Wenn ich schon anders sein muss, dann will ich es wenigstens nicht an die große Glocke hängen.“
„Wenn du eine Liste von Worten aufstellen wolltest, mit denen du dich selbst beschreibst … würde anders dann ganz oben stehen?“
Seine Frage überrumpelte sie. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte.
„Erinnerst du dich noch, dass du sagtest, die Kinder auf der Brandstation seien keine normalen Kinder?“ Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. „Ich glaube, du hast recht. Sie haben etwas durchgemacht, das niemand von uns je wirklich verstehen kann. Das lässt sich wohl nicht leugnen. Aber ich sage dir noch etwas: Keiner von uns ist normal. Wir alle sind anders, auf unsere eigene Art. Und wir schulden es einander, das zu respektieren. Allerdings kann ich dich nicht respektieren und du mich nicht, wenn wir uns voreinander verstecken.“
„Das tue ich also deiner Meinung nach?“
„Ich komme dir so weit wie möglich entgegen, wenn du das auch für mich tust.“
„Was ist schon an dir, worüber man hinwegsehen müsste?“
„Oh, du wirst alles Mögliche finden, sobald du genauer hinsiehst.“
Es fiel ihr schwer, das zu glauben. Selbst dieses Gespräch war Beweis für sein tiefes Mitgefühl und seine herzliche Wärme. „Also gut, von jetzt an bin ich offen zu dir. Vor allem, nachdem ich einen Vorgeschmack davon bekommen habe, was passiert, wenn ich es nicht bin.“
Er lehnte sich zu ihr. Sie hielt den Atem an, aber sie schloss die Augen nicht. „Gut“, sagte er und küsste sie auf die Nasenspitze. Ein Kuss, den man seiner kleinen Schwester geben würde, aber auf seltsame Art aufwühlend. „Und ich werde ebenfalls offen sein.“
„Heißt das, du wirst mich nicht aus reiner Höflichkeit fragen, ob ich mitkommen will, wenn du das Gefühl hast, dass ich eine Last für dich bin?“
„Eine Last?“ Er schüttelte den Kopf. „Gehört dieses Wort auch auf deine Liste?“
„Du meine Güte! Küchenpsychologie mit schottischem Akzent!“
„Du wirst nie eine Last sein. Eher genau das Gegenteil.“ Eine Bemerkung, die ihr mehr gefiel, als sie durfte.
Fiona stieg aus dem Wagen und sah ihm nach, wie er davonfuhr. Wasser spritzte zu beiden Seiten auf, die Reifen zischten auf dem nassen Asphalt. Der Wagen war längst weg, bevor sie die Tür öffnete und ins Haus ging.
Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Fiona nahm sich vor, zuerst ein entspannendes heißes Bad zu nehmen, danach vielleicht ein einfaches Abendbrot. Sie hatte Duncan und Mara Bescheid gesagt, dass es später werden würde, also hatten die beiden wahrscheinlich längst gegessen. Und sie hatte vorgehabt, sich erst ein wenig auszuruhen, bevor sie sich zu den anderen gesellte, aber in der Lobby kam ihr Duncan entgegen.
„Endlich zurück?“
„Ja …“ Sie lockerte die Schultern. „Und müde. Es war eine lange Fahrt, doch es hat sich gelohnt. Wir haben Sara besucht. Ich habe ihr vorgelesen, und Andrew hat die lächerlichsten Zaubertricks abgeliefert. Er muss wirklich dringend üben, aber die Kinder waren begeistert.“
„Ihr wart länger weg, als ich gedacht hätte.“
„Wir waren noch etwas essen. Das hat wahrscheinlich länger gedauert als geplant.“
„Komm, trink was mit mir. Ich möchte mit dir reden.“
„Ist etwas passiert?“ Sofort dachte sie an ihre Mutter, die allein in New York saß, während die beiden Kinder hier in Schottland waren.
„Nein, nichts Schlimmes. Ich möchte einfach nur mit dir reden.“
Fiona zog eine Augenbraue in die Höhe. „Das ist der Tonfall, den du bei April benutzt, wenn sie etwas angestellt hat. Wird das eine von diesen Unterhaltungen?“
„Nein. April ist zu jung für ein solches Gespräch.“
„Das hört sich ja immer schlimmer an.“
„Dann bringen wir es am besten hinter uns.“
Zu gern hätte sie sich gedrückt, dennoch folgte sie ihrem Bruder wie eine brave kleine Schwester zum Pub. Duncan war immer ihr bester Freund gewesen, sie wollte ihn nicht zurückweisen.
Der Pub war fast leer, was ungewöhnlich war, selbst zu dieser frühen Stunde. Duncan deutete auf den Tisch in der Ecke, wo sie am Ungestörtesten sein würden. Fiona hatte der Pub auf Anhieb gefallen, obwohl er
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