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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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ILDEBRANDT: Und die »Bild«-Zeitung hätte täglich den Frontverlauf gemeldet, wie damals vor dem Mauerbau, als sie von der Republikflucht im Stil von Sportreportagen berichtete – heute wieder neuer Flüchtlingsrekord – 2 865 Ostdeutsche haben die Grenze überschritten. Wann dürfen wir den millionsten Flüchtling prämieren!? In diesem Stil ging das wochenlang. Da haben wir uns immer gedacht: »Ihr bringt es so weit, ja ihr treibt es geradezu dahin, dass die zumachen müssen.« Schließlich wussten wir doch, was man in so einer geteilten Stadt wie Berlin allein mit den verschiedenen Währungen alles anrichten konnte. Und dass die noch nicht geflüchteten Ostdeutschen langsam Angst bekommen mussten, dass sie allein bei den Russen bleiben würden. Also haben sie auch schnell noch die Koffer gepackt. Dass das so nicht weitergehen konnte mit der ungebremsten Flüchtlingswelle, konnte man sich doch ausrechnen. Und dann passierte es ja auch. Sie haben zugemacht.
    E NSIKAT: Im Kalten Krieg spielten sich die beiden Seiten gegenseitig den Ball zu. Da war ihnen kein Argument zu primitiv.
    H ILDEBRANDT: Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Was da aus Adlershof oder aus den ostdeutschen Funkhäusern über die Lage in Westdeutschland kolportiert wurde, das spottete jeder Beschreibung. Gerade wenn es als Satire daher kam. Dagegen waren die Texte der »Insulaner« von rilkescher Qualität.
    E NSIKAT: Ich erinnere mich, es gab jahrelang dieses unsägliche Fernsehkabarett aus Adlershof, das mich an meinem Beruf hat verzweifeln lassen.
    H ILDEBRANDT: So was haben wir damals in Berlin im Radio gehört.
    E NSIKAT: Wir nicht. Oder besser: Wir haben uns das einmal angehört und dann nie wieder. Irgendwann in den achtziger Jahren haben sie das dann wegen anhaltender Wirkungslosigkeit eingestellt.
    H ILDEBRANDT: Es war unsäglich. Im August 1961 saßen wir hier in Charlottenburg, um die Texte für die SFB-Sendung neu zu schreiben, und hörten uns an, was dazu im Radio aus dem Osten kam. Wir haben uns geekelt vor so viel Charakterlosigkeit. Da wurde behauptet, Johnson, der amerikanische Vizepräsident, sei Stammgast im Puff, Brandt sei homosexuell, nein, ich hab mir das nicht alles gemerkt … Aber es war alles auf diesem Niveau.
    E NSIKAT: Diese Art Fernseh- oder Radiokabarett in der DDR hatte mit Satire überhaupt nichts mehr zu tun. Ich weiß nicht, wer das Zeug geschrieben hat. Ich kann mir vorstellen, dass die sich selber geschämt haben.
    H ILDEBRANDT: Wir haben uns damals gesagt: »LiebeKollegen, hoffentlich kann man euch später mal noch die Hand geben.«
    E NSIKAT: Ich kann dir versichern, für Radio oder Fernsehen habe ich in der DDR nie einen Kabaretttext geschrieben. Wobei ich zugeben muss: Ich hätte ja gern. Aber was ich, wenn sie mich gefragt hätten, geschrieben hätte, hätten sie garantiert nicht gesendet. Sie wollten Satire, die der Parteidefinition entsprach: »Scharfe Waffe im Klassenkampf«, also pure Propaganda. Bei den Kalten Kriegern vom Westkabarett war das etwas anders, beim RIAS-Kabarett, bei den »Insulanern«.
    H ILDEBRANDT: Das war Günter Neumann, nicht? Ein großer Könner.
    E NSIKAT: Das war er ganz bestimmt. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich selbst in den fünfziger Jahren keine Sendung verpasst habe. Die »Insulaner« sprachen den Westberlinern und eigentlich auch Leuten wie mir damals aus dem Herzen. Ich habe schließlich auch mal als aufrechter Antikommunist angefangen. Mir ist damals gar nicht aufgefallen, dass die etwas machten, was es bis dahin in Deutschland nicht gegeben hatte – rechtes Kabarett.
    H ILDEBRANDT: Ja, rechts waren sie.
    E NSIKAT: Reaktionär, würde ich heute sagen. Aber bis ich das gemerkt habe, hatten die sich sowieso erledigt. Die Zeit war längst über sie hinweggegangen.
    H ILDEBRANDT: Leute wie Agnes Windeck, Walter Gross,Bruno Fritz, das waren richtige Komödianten. Du hast denen angemerkt, das ist gar nicht bösartig, das ist eine Empörung, die aus der Zeit zu verstehen ist. Der Spruch hieß ja damals in West-Berlin: »Verkooft sind wa, aba jeliefat sind wa noch nich!« Diese Sprüche hab ich noch im Ohr. Die hatten Angst. Die hatten einfach Angst.
    E NSIKAT: Weil sie ja die Springer-Presse lasen.
    H ILDEBRANDT: Da stand: Die Russen werden am Rhein landen! Und ihr werdet in der Mitte sein!
    E NSIKAT: Und das machten die »Insulaner« mit. Sie trafen den Nerv der Zeit, wie immer man diesen Nerv bezeichnen mag. Es war der Nerv des Kalten Krieges. Ich bin ja

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