Wie ich Brad Pitt entführte
nicht um einen Irrtum handelt?«, frage ich vorsichtig. Meine Hand, die den Telefonhörer umklammert, zittert. Ich fühle, wie der geballte Unwillen der Sekretärin durch den Äther auf mich zurast. Ba-Ba-Boom, Aufprall! Jetzt zittert auch noch mein Herz.
»Sind Sie Victoria Katherina Alberta Frederike Leenders?«, klirrt es eisig aus der Leitung.
»Ja«, gestehe ich kleinlaut. Es ist mir immer noch hochpeinlich, mit meinem vollen Namen angesprochen zu werden. Was unter anderem daran liegen könnte, dass meinen Eltern bei meiner Geburt eindeutig der Gaul durchgegangen ist. Womit hatten die denn gerechnet? Dass sich die aristokratischen Vornamen gut machen, wenn ich mit knapp sechzehn einen waschechten Blaublüter eheliche? Oder haben sie sich schon damals über so unsägliche Kleinigkeiten, wie den Namen ihrer Erstgeborenen, bis aufs Blut bekämpft? Sind die vielen Namen vielleicht das Ergebnis eines Schlichtungsversuches beim Eheberater? Frei nach dem Motto: Einer mehr kann doch nicht schaden, wenn es dem häuslichen Frieden dient.
»Na, Frau Leenders, dann dürfte ja jeglicher Irrtum ausgeschlossen sein«, stellt die Sekretärin spitz fest. »Wer soll denn nun Ihrem Vater diese Nachricht überbringen?«
Aber ich kann immer noch nicht klar denken.
»Frau Leenders, hätten Sie vielleicht die Güte, mir eine Antwort zu geben?«, hallt es schrill durch mein Ohr.
Mir ist immer noch ein bisschen schummerig zumute, als ich an meiner eigenen Schlafzimmertür anklopfe. Ich hatte mich am Ende des Gesprächs doch noch zusammenreißen können und gebeten, dass Dr. Meyer meinen Vater unterrichtet. Ich hatte mich nur leider nicht mehr getraut, zu fragen, WARUM um alles in der Welt meine Therapie auf einmal zu Ende sein sollte.
»Komm rein!«, ruft Linda in dem Moment, als ich die Tür öffne. Sie liegt neben Tom im Bett und grinst so zufrieden wie eine Anakonda, die gerade einen kompletten Büffel verspeist hat. Aha! Also ist es gestern Nacht doch noch zum Vollzug gekommen. Tom schläft natürlich noch. Typisch Mann eben. Ein Samenerguss, und schon ist die Luft raus.
»Rate mal, wer mich gerade angerufen hat«, frage ich Linda.
»Max natürlich!« Sie strahlt wie eine Tausend-Watt-Birne.
Mit einem Schlag stehen mir schon wieder die Tränen in den Augen. Traurig schüttele ich den Kopf.
»Vicki!« Linda springt aus dem Bett und zieht sich meinen Bademantel über ihre nackten Venusformen. »Komm, Schatz, wir machen uns erst mal einen Kaffee«, sagt sie und zieht mich aus dem Zimmer.
»Wow!«, entfährt es Linda, während sie gerade die Dr.-Meyer-Neuigkeiten verdaut. »Das ist ja ganz, ganz, ganz große Klasse!« Sie drückt mich voller Begeisterung an sich.
Aber meine Freude ist durch das Max-Debakel sehr gedämpft. »Du hast mir versprochen, dass Max heute früh anruft!«, bemerke ich vorwurfsvoll.
Linda greift mich an beiden Schultern und zwingt mich, ihr voll ins Gesicht zu schauen. »Mensch Vicki, jetzt erwach doch endlich mal aus deinem Dornröschenschlaf! Es gibt doch jede Menge andere Prinzen außer diesem illustren Max!«
Sie rüttelt mich, als ich murmle: »Aber nicht für mich!«
»Vicki! Überleg doch mal. Du kannst jetzt reisen. Du bist nicht mehr an Köln gebunden! Fahr doch nach New York und küss einen Investmentbanker. Die gibt’s da jetzt im Sonderangebot! Oder von mir aus einen Hippie auf Hawaii!« Inbrünstig deklamiert sie: »Willst du sein ein echter Hippie, bind dir Blumen um den Pipi.« Sie lacht herzhaft. »Oder Prinz Harry, der ist doch auch schon über 18! Komm, jetzt lach doch mal!«
Mit Tränen in den Augen tu ich ihr den Gefallen. Aber mein Herz schmerzt, während ich die Lippenwinkel nach oben ziehe. Ob es einen Nerv gibt, der ausgerechnet diese zwei Ecken im Körper verbindet? Verrückte Anatomie!
Übrigens hatte Linda in weiser Voraussicht bereits gestern Abend ihren Dienst mit einem Kollegen getauscht und muss heute nicht ins Krankenhaus. Somit kann sie noch einen weiteren Tag bei mir hausen und auf mich aufpassen. Sie hatte sogar schon ihren befreundeten Anwalt erreicht und einen Termin für mich ausgemacht. Für nächste Woche Freitag! Anscheinend musste man erst jemanden umbringen, bevor man zügig juristischen Beistand gewährt bekommt. Irgendwie hatte ich die ganze Geschichte mit Tom verdrängt. Aber Linda besteht auf diese juristische Beratung, weil sie, wahrscheinlich zu Recht, vermutet, dass sich die Polizei – ich versuche krampfhaft, nicht an Max zu denken –
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