Wie ich mir das Glück vorstelle
den Berg und jagen die Familie zurück ins Tal. Und dann ist der einbeinige Dschib irgendwann allein. Der einbeinige Dschib sammelt Geschosse, Raketenteile und Schießpulver.
Der einbeinige Dschib kämpft gegen alle und sagt: Die Sniper schießen immer genau an mir vorbei. Das machen die mit Absicht, das machen die nur mit uns Dschibs. Statt dass die mich einfach mal abknallen.
Wir gehen an aufgetürmten Sandsäcken vorbei. Der Sand kommt aus der Wüste. Das ist die Wüste, in die der Vater fliegt, kilometertiefe Löcher bohrt und das versteinerte Stück Holz findet. Wir sind am Westufer, hier ist die Front. Eine ganze Menge Schutt liegt hier rum. Ein Haus kommt mir bekannt vor. Früher ist da eine Bank drin und jetzt ist es ein ausgebrannter Klotz. Groß und hohl. Da ist nichts mehr drin. Nur der Schacht vom Fahrstuhl. Wenn hier einer alle Steine und Brocken wegräumt, ist auf jeden Fall viel Platz am Fluss. Aber da muss auch erst mal einer mit anfangen.
Zwei Frauen stehen hinter großen Töpfen und verteilen Polenta mit Speck und heißem Wasser. Jeder bekommt eine Kelle in eine kleine Plastikschüssel und da drin wird alles zu einer Suppe. Wir bringen tiefe Teller mit. Wir wollen sauberes Besteck. Vor uns in der Schlange steht eine Frau, die ein Nachthemd anhat. Darunter trägt die eine Trainingshose. Ein Mann hält zwei Regenschirme in der Hand und bietet die uns an. Im Sommer will die keiner und wir können sie günstig bekommen. Wir stehen an. Wir essen die Polenta. Wir lassen uns nicht auf das Geschäft mit den Regenschirmen ein. Wir gehen zum Flussufer und waschen die Teller aus.
Der einbeinige Dschib sagt: Es ist gar nicht lange her, da beobachte ich hier eine Frau, die Wäsche für ihre Kinder im Fluss saubermacht. Ich stehe auf diesem Felsen und lauere ihr auf. Ich warte auf den richtigen Moment. Ich will eine Hose. Der Sniper sitzt da drüben in der Schule und die Kugel geht direkt durch den Kopf von der Frau und erwischt mich. Hier an der Schulter, siehst du das?
Wir gehen weiter am Ufer entlang. An manchen Stellen gucken große Steinbrocken aus dem Wasser. Das sind die Brücken, die im Fluss liegen. Auch die älteste Brücke ist im Wasser. Immer schon springen Jungen in unserem Alter von der alten Brücke. Das ist Tradition. Es gibt sogar Kinofilme über die Springer aus der Stadt. Der Fluss ist sehr kalt und im Sommer findet ein Wettbewerb statt. Der schönste Sprung gewinnt. Jedes Kind muss alles über die alte Brücke wissen. Ich kann alles auswendig aufsagen. Die Steine für die Brücke kommen aus einem Steinbruch außerhalb der Stadt. In einem Spitzbogen zieht sich die alte Brücke von einem Ufer zum anderen und ist an ihrem höchsten Punkt neunzehn Meter über dem Fluss. Damit das alles hält, schmieren die Honig und Eier zwischen die Steine. Die alte Brücke bedeutet so viel mehr als dein Leben. Alle Kriege übersteht sie. Niemals traut sich einer, die alte Brücke zu sprengen. Ein paar Betrunkene feuern von dem Berg da oben Granaten auf die alte Brücke. Eine nach der anderen. Das dauert fünf Tage. Die alte Brücke steht fünf Tage lang. Dann klappt die zusammen wie ein Lamm, dem du die Kehle durchschneidest.
Der einbeinige Dschib sagt: Die Mudschis und die Kreuzer schieben sich das gegenseitig in die Schuhe.
Ein reicher Sultan baut die alte Brücke auf. Ein betrunkener Kommandant schießt die kaputt. Als die alte Brücke einstürzt, beten wir in der Gemeinschaft von den Söhnen Marias zur Königin des Friedens. Maria, o Maria.
Der einbeinige Dschib sagt: Der Große Kampf ist vorbei und nur der Fluss ist noch da. Der nimmt die Toten und trägt die mit ihren Geschichten raus aus der Stadt. Der trägt die alle bis ins Meer.
Manchmal spricht der einbeinige Dschib im Schlaf. Und dann faselt der auch immer irgendwas vom Meer und von den Toten und von den Geschichten. Hast du davon schon mal was gehört?
Zuerst kämpfen die Mudschis zusammen mit den Kreuzern gegen die Krieger in den Bergen. Als die tot sind, kämpfen die Kreuzer gegen die Mudschis, weil die Kreuzer die Stadt jetzt für sich allein haben wollen. Die Kreuzer haben mehr Panzer und mehr Maschinengewehre als die Mudschis, und die Kreuzer wollen die Mudschis richtig ausräuchern. Nicht alle sterben. Irgendwann ist aber die ganze Stadt kaputt und keiner weiß mehr, worauf er überhaupt schießen soll. Also schießen sie weiter in die kaputten Häuser. Vom Ostufer aufs Westufer, vom Westufer aufs Ostufer. Dann kommen die Krieger aus
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