Wie ich mir das Glück vorstelle
den anderen Ländern. Die bringen die besten und meisten Waffen mit und keiner darf die abschießen. Die Kreuzer und die Mudschis besaufen sich jetzt einfach nur noch und schießen in den Himmel oder in den Fluss.
Der Große Kampf ist in den Dörfern. In den Dörfern sind die entscheidenden Schlachten. Da teilen sich die Gebiete auf. Was sich sonst abspielt, kann ich dir nicht sagen. Wie viele Menschen überhaupt noch in der Stadt sind, weiß ich auch nicht. Jeden Tag sind es mehr, die aus ihren Löchern kriechen. Alles, was ich weiß, habe ich vom einbeinigen Dschib. Der glaubt, dass nicht mal die Hälfte von allen Menschen hier am Leben ist. Aber der glaubt auch, dass jetzt ganz viele Menschen aus den Dörfern in die Stadt kommen, weil die aus ihren Dörfern rausgeschmissen werden. Wir müssen uns vorbereiten.
Von Brücke eins zu Brücke zwei brauche ich zusammen mit dem einbeinigen Dschib ziemlich lang. Allein schaffe ich den Weg bestimmt in der Hälfte der Zeit. Gehen wir von unserer Bude zur Suppenausgabe, brauchen wir sogar fast doppelt so lang wie von Brücke eins zu Brücke zwei. Wir gehen über Brücke eins und gehen durch die kaputten Straßen am Westufer. Wir essen die Suppe, waschen unsere Teller im Fluss, gehen zurück bis Brücke eins und zeigen wieder unsere Karten vor. Die Karten bekommen wir letzte Woche von den Frauen bei den Suppentöpfen.
Auf meiner Karte steht: Vorname: Viktor. Familienname: unbekannt. Geburtsort: Dorf der Glücklichen. Geburtstag: unbekannt. Religionszugehörigkeit: ohne Bekenntnis. Angehörige: unbekannt. Wohnsitz: Stadt der Brücken. Zustand: Krümmung der Halswirbelsäule, Brandwunden an Schultern und Füßen, Druckgeschwür am unteren Rücken, massiver Zahnverlust. Behandlung: –. Versorgung: Anspruch auf Nahrungsausgabe für eine Person.
Ich will wissen, was auf der Karte vom einbeinigen Dschib steht, aber der sagt: Denk dir einfach was aus.
Wir gehen am ersten Friedhof links, am zweiten rechts, wir lassen fünf Friedhöfe rechts und links liegen und biegen am sechsten wieder links ab. Kleine Holzplatten stecken überall im Boden, aufgemalte Sterne, ein Halbmond, aufgemalte Kreuze, Geburtstage, Todestage, unser Held.
Früher wohne ich in den Baracken rechts vom Fluss. Der einbeinige Dschib kennt die nicht. Wir finden die Baracken auch nicht wieder. Wir haben keine Nachbarn. Als wir zum ersten Mal von der Suppe zurückgehen, ist der Tag fast vorbei und es ist noch immer sehr heiß. Der einbeinige Dschib hat eine neue Krücke. Eine Eisenstange. Er kommt nur sehr langsam vorwärts. Die Sonne brennt in das Tal. Es ist, wie wenn wir durch einen Kochtopf kriechen. Ich habe die Trainingsjacke vom einbeinigen Dschib an. Die Wunden sind nicht in der Sonne. Nur der Stoff reibt sich in das Fleisch.
Der einbeinige Dschib sagt: Zu Hause gebe ich dir deine Sachen zurück.
Ich sage: Du hast die Sachen aus dem Paket?
Der einbeinige Dschib sagt: Den komischen Würfel und dieses Stück Holz.
Ich sage: Und das Foto? Das Radio?
Der einbeinige Dschib sagt: Das Foto kannst du auch haben.
Ich schneide das Hemd vom einbeinigen Dschib auf und taste ihn ab. Ich finde nichts. Ich weiß nicht, wie und wann der einbeinige Dschib meine Sachen aus dem Fluss fischt. Der einbeinige Dschib hat die Kraft von einem Zauberer. Und mit seinem komischen Gefasel und dem ganzen Quatsch ist der mir manchmal richtig unheimlich. Der glaubt auch an Hexen.
In der Bude wartet der Hund auf uns. Endlich gebe ich ihm einen Namen. Ich nenne ihn Tango. Er haut ab und taucht wieder auf. Nichts und keiner kann Tango töten. Tango jagt Ratten in zerstörten Kirchen und Moscheen auf beiden Seiten vom Fluss. Manchmal laufe ich ihm zufällig über den Weg. Tango beachtet mich dann gar nicht. In den Kirchen wohnen Ratten. In den Kellern gibt es viele Säcke mit Essen, an die nach der Bombardierung kein Mensch mehr rankommt. Nur die Tiere finden die Wege. Die Ratten haben dort ihre Nester. Manchmal kommen die Ratten auch in unsere Bude und Tango tötet sie. Manchmal bringt Tango sogar einen Hasen mit. Wir wissen nicht, wo er die Hasen findet. Es ist völlig sinnlos, dass wir sie suchen.
ABER ICH WILL DIR DOCH
VON DEN ELEFANTEN ERZÄHLEN
Morgens wird der Junge eingeschult und abends sagt der Mann im Fernsehen: Das Land aller Völker gibt es nicht mehr.
Die Mutter gibt mir die Schultüte mit den Süßigkeiten und der Onkel kommt mit zwei Cousinen aus dem Dorf der Glücklichen zu Besuch. Die Mutter cremt mich mit der
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