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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Kordić
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und zündet die an.
    Er sagt: Gut, dass wenigstens du satt bist, Krüppel.
    Ich schaue ihn nicht an. Ich nicke.
    Ich sage: Ein Teller, eine Silberplatte, zwei Gabeln mit Gravur Vegas, zwei Messer mit Gravur Vegas, ein Glas mit der Aufschrift Vegas, eine Halskette mit Ehering, ein bisschen Schießpulver, zwei Hülsen, zwei Eisenkappen.
    Der einbeinige Dschib zieht eine Goldkette vom Stumpf und wirft die in die Mitte. Wir legen das Geschirr zu dem anderen Geschirr, die Ketten zu dem Schmuck.
    Unsere Bude hat ein Zimmer, das nicht völlig ausbrennt. Da leben wir. In der Decke ist ein Loch und die Fenster sind ausgeschlagen. Wir nageln Plastikplanen an die Fensterrahmen. Wir legen einen Teil vom Zimmer mit Pappe und alten Zeitungen aus, die wir in der Nachbarschaft finden. Hier ruhen wir uns aus. Hier leben wir. Mit der Kleidung, die wir finden, bauen wir uns Kissen und Decken.
    Alle zwei Tage macht mir der einbeinige Dschib die Rückenspinne ab. Weil wir keine Salbe haben, streicht er mir einfach nur mit der Hand über den Rücken und macht alles ein bisschen sauber. Seit ich das Unterhemd im Flusswasser wasche, entzünden sich die Wunden nicht mehr. Auf den Schultern ist jetzt die Kruste und es juckt dort.
    Der Teil vom Zimmer, den wir nicht mit Pappe auslegen, ist unser Lager. Wir sortieren unseren Gewinn auf verschiedene Haufen. Das Essen stellen wir in den alten Küchenschrank, den wir aus dem anderen Zimmer hier rüberschieben. Die Hülsen, Raketenteile und Schießpulvertüten lagern wir da nebenan. Das Zimmer dort hat zwei Wände und ein halbes Dach. An manchen Stellen ist die Tapete rosa und es gibt einen kaputten Spiegel. In unserem Zimmer ist eine Parole an der Wand. Nur die Ausrufezeichen können wir entziffern, die Schrift ist uns nicht bekannt.
    Bevor wir spät in der Nacht wieder das Haus verlassen, ruhen wir uns aus. Wir legen uns hin. Ich schlafe. Der einbeinige Dschib beobachtet mich und passt auf, dass ich mir nicht die Wunden aufkratze. Ich habe nicht viel Zeit zum Schlafen.
    Irgendwann nach Mitternacht sagt der einbeinige Dschib: Wir müssen los.
    Es ist stockdunkel. Der einbeinige Dschib geht vor das Haus und setzt sich in die Schubkarre. Ich gebe ihm die Schaufel. Wir bauen die aus einer kleinen Holzlatte und einer alten Waschschale. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang ist keiner draußen. Wir sind ganz leise. Die wilden Gräber können überall sein. Wir gehen Richtung Norden. Dort lebt keiner. Nur tagsüber fahren manchmal noch Busse voller Krieger durch. Wir finden das Absperrband von den Soldaten aus den anderen Ländern. Ich muss die Erde wegschaufeln. Der einbeinige Dschib guckt sich um und gibt Bescheid, wenn da einer kommt. Ich muss die Erde schaufeln. Ich ziehe eine Hose aus dem Boden und schüttle die Knochen raus. Ich werfe eine Jacke hoch zum einbeinigen Dschib. Ich ziehe Pullis, Schuhe, Mäntel, Mützen und Pässe aus dem Boden. Ich werfe das alles hoch zum einbeinigen Dschib. Der einbeinige Dschib bleibt bei der Schubkarre stehen und versteckt die schönen Sachen im Monitor. Den Rest legt er daneben in die Wanne. Wir können die Schüsse von den betrunkenen Kriegern hören. Ich ziehe mich aus dem Bodenloch raus. Der einbeinige Dschib kann mir nicht helfen. Die betrunkenen Krieger schießen nachts von den Dächern in den Himmel und in den Fluss. Ich schaufle das Loch wieder zu. Jeder weiß, dass der Große Kampf vorbei ist.
    Wir gehen zurück in unsere Bude. Keiner sieht uns. Wir zünden eine Kerze an. Wir sortieren alles auf die Haufen. Wir finden keinen passenden Schuh für den einbeinigen Dschib. Er legt sich in seine Ecke.
    Der einbeinige Dschib sagt: Erzähl mir eine Geschichte.
    Ich erzähle die Geschichte von der Geburt von dem Jungen. Das ist die Lieblingsgeschichte vom einbeinigen Dschib. Als der einbeinige Dschib dann schläft, nehme ich mir dieses Heft und den Bleistift.
    Ich schreibe das Buch. Ich muss sehr sparsam sein mit den Seiten im Heft. Ich erzähle alles so, wie der Zopf von der Oma unterm Kopftuch aussieht. Diese Geschichte ist mein Leben. Diese Geschichte darf nicht länger sein als das Heft, in das ich reinschreibe. Ich schreibe sie für dich. Ich schreibe sie für den einen, der sie liest. Jede Nacht schreibe ich ein paar Seiten. Oft streiche ich in der nächsten Nacht alles wieder durch und schreibe die Seiten neu zwischen die durchgestrichenen Zeilen. Wenn ich nichts mehr ändern will, stehe ich auf und male für jede Seite einen Elefanten an die Wand, auf

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