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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Kordić
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angekettet sind, fressen die dich auf. Wie die Schweine im Dorf der Glücklichen. Nur ein Hund ist anders. Der hat das zottelige Fell. Zu dem Hund kannst du gehen und der lässt sich von dir streicheln oder sich die Haare abschneiden, wenn wieder viel Dreck drin ist. Ich ziehe die Hose runter, gehe in die Hocke und mache da hin, wo auch der Hund hinmacht. Ich fasse mit der Hand in den Wassernapf von dem Hund und mache mich sauber. Ich gehe wieder ins Haus zurück. Im Flur ist ein neuer Spruch an der Wand und alle sprechen darüber.
    Da sprüht einer hin: Das hier ist Kreuzerland.
    Und ein anderer schreibt mit Filzstift daneben: Das ist der Hausflur.
    An einem anderen Tag gehe ich auf den Balkon. Wenn du auf dem Balkon stehst und nicht nach draußen guckst, sondern zu dem Haus hin, siehst du viele Fenster und die anderen Balkone. Ich gucke mir das an und die Menschen, wie die auf dem Balkon stehen. In dem Haus leben acht Familien, die auch Kreuzer sind. Wie wir. Die anderen zweiundzwanzig Familien gehören zu den Mudschis. Aus den Bergen lebt hier keiner. Vier Balkone rechts von uns und zwei Balkone über uns lebt die Familie von dem Freund von dem Bruder. Die gehören zu den Mudschis. Auch die Mutter ist befreundet mit der Mutter von dem Jungen. Als dann in den Dörfern geschossen wird, treffen die sich nicht mehr. Die Mutter spricht mit dem Vater am Telefon darüber, als der irgendwann mal nachts anruft. Jetzt sitzt die Mutter allein in der Küche.
    Ich stehe auf dem Balkon und sage: Da ist die Mutter von dem Mudschijungen.
    Die Mutter kommt zu mir auf den Balkon und guckt hoch. Dann geht sie wieder in die Wohnung und ruft einen an. Vom Balkon aus kann ich sehen, wie die andere Mutter in ihre Wohnung geht.
    Ich höre, wie die Mutter bei uns am Telefon sagt: Ich bin’s.
    Dann legt sie auf. Es klingelt an unserer Tür und ich renne hin. Ich sehe, wie die Mutter schon die Tür aufmacht, und da steht die Mutter von dem Mudschijungen, die gerade eben noch vier Balkone rechts von uns und zwei Balkone über uns auf dem Balkon steht.
    Den ganzen Tag sitzen die jetzt bei uns im Wohnzimmer und nehmen sich immer wieder in den Arm. Jetzt versprechen die sich, dass ihnen das egal ist mit den Gruppen. Mir ist das aber überhaupt nicht egal. Deshalb kaufen wir doch das neue Radio.
    Die Mutter sagt: Viktor, du darfst das keinem erzählen.
    Ich erzähle es dem Bruder und der erzählt es dem Vater. Mit einem Filzstift malt der Vater uns einen Wolf auf den Arm, als der das nächste Mal zu Besuch ist. Der Vater verbietet der Mutter, sich mit der anderen Mutter zu treffen. Er haut ihr sogar ins Gesicht. Die Mutter hält sich trotzdem nicht dran. Der Bruder und ich können nicht immer aufpassen, weil wir in der Schule sind, und der Vater ist viel zu selten da, weil er der gute Krieger ist. Nach der Schule stelle ich mich auf den Balkon. Wenn die andere Mutter auch auf ihrem Balkon steht, mache ich mit der Hand einen Revolver, kneife das rechte Auge zu und ziele auf sie.
    Ich rufe laut: Ta-ta!
    Ich bekomme eine Ohrfeige und die Mutter schließt mich schon wieder in das Zimmer ein.
    Ich sage: Das sind Feinde.
    In der Schule gibt es nicht viele Feinde, weil in meiner Klasse fast nur noch Kreuzer sind. Wir haben jetzt einen neuen Lehrer. Über der Zimmertür hängt das Wappen von den Kreuzern. Die Schule ist auf der anderen Seite vom Fluss. Da gibt es mehr Kreuzer. Deshalb wechseln die Mudschikinder auch fast alle die Schule. Die gehen jetzt in eine Schule auf der Seite vom Fluss, auf der wir auch in den Baracken leben. Der Bruder und ich gehen in die richtige Schule. Wir leben nur auf der falschen Seite vom Fluss. Umziehen wollen wir trotzdem nicht, weil die Eltern erst kurz vor der Geburt von dem Jungen hier einziehen.
    Immer wenn ich aus dem Haus gehe, sagt die Mutter mir, was ich sagen muss, damit ich nicht auffalle. Wenn ich hier zu dem Bäcker gehe, muss ich nämlich einen Laib kaufen. Wenn ich auf der anderen Seite vom Fluss zu dem Bäcker gehe, muss ich ein Brot kaufen.
    Hier sagst du: Guten Tag.
    Auf der anderen Seite sagst du: Grüß Gott.
    Hier sagst du: Guten Tag, zwei Laibe bitte.
    Auf der anderen Seite sagst du: Grüß Gott, zwo Brote bittsehr.
    Hier sagst du: Eins, zwei, drei, vier, fünf.
    Auf der anderen Seite sagst du: Ens, zwo, dro, vi, fünfe.
    Bei den Bergmenschen sagst du sogar: Ans, zwö, drö, vü, finfä.
    Wenn du bei dem Bäcker stehst und du kaufst zwei Laibe statt zwo Brote, packt der Bäcker dir zwo vergiftete

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