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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Kordić
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rein. Alle halten sie in einer Hand ein Maschinengewehr und die andere Hand ballen sie zu einer Faust und strecken die in den Himmel.
    Einer ruft ganz laut: Wir sind die Garde!
    Alle antworten und rufen: Wir sind die Garde!
    Sogar der Bruder ruft das, obwohl der vor dem Fernseher sitzt und ihn da keiner hören kann. Der Vater geht in das Nachbarhaus zu der Mutter. Die Mutter ist sehr stolz auf den Sohn, wie der da auf dem Panzer sitzt und mit der Garde zusammen in die Dörfer kommt. Das ist das letzte Mal, dass einer den Jungen sieht. Der Junge ruft nicht mehr an bei der Mutter. Der Junge kommt nicht nach Hause, als alle anderen nach Hause kommen. Die Mutter zieht jetzt nur noch schwarze Sachen an und betet. Maria, o Maria.
    Jeden Tag erinnert die sich daran, was der Junge sagt, als der das letzte Mal unten im Hausflur steht: Solange irgendwo ein paar Jungs unsere Lieder singen, weißt du, liebe Mutter, dass auch ich noch am Leben bin.
    Die Mutter geht rum und sagt das allen. Die kommt sogar bei uns vorbei und sagt das. Ich höre ihr gut zu. Der Junge ist viel älter als ich und ich kenne den gar nicht. Der Vater muss mir erst die ganze Geschichte erzählen, damit ich das verstehe.
    Der Vater sagt: Geh raus und sing unsere Lieder.
    Ich sage: Die Mutter will nicht, dass ich draußen spreche.
    Der Vater sagt: Wir sind die Garde!
    Ich sage: Wir sind die Garde!
DER LETZTE TAG
    Eine junge Frau tritt aus dem Hauseingang und beinah stolpert sie über den Jungen mit seinem Hund. Sie erschrickt über die magere Gestalt des Jungen, dessen Oberkörper in einem Korsett steckt. Sie zögert kurz, aber dann sagt sie: »Bist du aus der Stadt? Willst du dich ausruhen? Du musst etwas essen.«
    Der Junge sagt: »Der Hund ist hungrig. Ich bin es nicht.«
    Die Frau nimmt den Jungen und den Hund mit in ihre Wohnung und stellt ihm ein paar Scheiben Weißbrot, etwas Wurst und zwei frische Tomaten auf dem Küchentisch zurecht. Sie zeigt ihm auch das Sofa, falls er sich ausruhen möchte. Dann verlässt sie das Haus erneut und macht ihre Besorgungen.
    Als sie einige Zeit später die Wohnung wieder betritt, fällt ihr zuerst der stechende Geruch auf. In der Küchenspüle sieht sie, dass der Junge das Weißbrot und die Tomaten wieder ausgebrochen hat. Ein paar Wurstreste sind auf dem Boden verstreut. Neben dem Brotkorb liegt eine Postkarte: »Der Hund heißt Tango.«
    Die junge Frau nimmt die Postkarte in die Hand und dreht sie um. Die Karte ist bedruckt mit einem Gruß aus dem Fischerdorf, in dem sie lebt. Sonne, Strand, Meer. An ihrem Bein spürt die junge Frau die kalte Schnauze des Hundes.
UNSER MÄDCHEN
    Direkt unter der Nase wachsen Haare. Wenn ich mit den Fingern drüberstreiche, fühlt sich das an wie ein Rattenbauch. Die Haare sind ganz weich.
    Der einbeinige Dschib sagt: Wenn dir jetzt noch Haare auf dem Kopf wachsen, siehst du bald aus wie ein Mensch.
    Ich werde am Wasserhahn bei Brücke zwei nicht mehr vorgelassen mit dem Kanister. Ich muss mich anstellen. Die anderen Kinder, die allein sind, werden vorgelassen zum Wasserhahn. Dort gibt es jetzt gutes Wasser und wir müssen nicht mehr das Wasser aus dem Fluss abfüllen. Da sieht der einbeinige Dschib neulich ein paar Tote rumschwimmen. Vom Wasser aus dem Fluss blutet dem einbeinigen Dschib der Mund. Es entzündet sich in seinem Mund. Das Unterhemd wasche ich aber trotzdem noch im Fluss. Für meine Haut ist es gut. Ich glaube, die Entzündung vom einbeinigen Dschib hat gar nichts mit dem Flusswasser zu tun. Wir finden noch einen anderen Wasserhahn. Dort musst du dich nicht anstellen. Der Hahn ist auf der Rückseite von dem ausgebrannten Kaufhaus direkt am Fluss, wo sich noch nicht viele hintrauen. Wenn du den Hahn aufdrehst und ein paar Minuten wartest, tropft da erst die Brühe auf den Boden. In einem dünnen Strahl kommt dann aber auch gutes Wasser raus. Du musst lang warten, bis der Kanister voll ist.
    Zu essen haben wir wenig. Die Suppen werden ausgegeben. Mit der Schubkarre fahre ich den einbeinigen Dschib jeden Tag an einen anderen Platz in der Stadt und der macht die Hütchenspiele und gewinnt und bekommt allerhand dafür. Und wenn ihm einer nichts geben will, zieht der den Revolver. Inzwischen haben wir so viele Dinge gesammelt, dass wir neue Haufen hinter dem Haus machen müssen. Wenn jetzt doch mal einer hier vorbeikommt, sieht der sofort, dass hier Dschibs wohnen. Wir müssen aufpassen. Wir sind eine Dschibsbude und der einbeinige Dschib will, dass wir alles aufheben, was

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