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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Kordić
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sagt: »Jetzt verschwinde hier. Du vertreibst ja alle.«
    Der Junge greift nach der Plastikschale und geht Richtung Fährmauer. Die Tüte mit dem Heft baumelt an seinem Handgelenk. Der Junge geht ganz bis ans Ende der Fährmauer. Dorthin, wo eine kleine Treppe hinabführt ins Meer und wo ihn niemand sehen kann. Dort setzt er sich hin.
MARIA, O MARIA
    Die beiden Schwestern nehmen mir den Koffer ab und bringen mich in das große Haus. Der dicke Dim geht uns hinterher durch den Schnee. Ich muss mich ausziehen. Die Schwester macht mir das Gesicht sauber. Sie gibt mir eine Jogginghose und einen Pulli. Der dicke Dim bekommt Ärger, weil der nur eine Unterhose anhat. Er muss sich was anziehen. Er bekommt auch eine Jogginghose und einen Pulli. Die Schwestern bringen mich und den dicken Dim in die Kapelle zum Abendgebet. Barfuß gehe ich durch den Schnee. Das tut weh an den Füßen. Die Schwester macht die Tür zur Kapelle auf.
    Sie sagt: Knie nieder und du wirst sehen.
    Ich gehe rein und sehe, dass da ein paar Kinder auf dem Boden knien und beten. Die Söhne Marias. Meine Brüder. Aber es ist gar kein Priester da. Alle flüstern irgendwas vor sich hin. Der dicke Dim und ich knien uns auch auf den Boden. Ganz vorn hängt Jesus Christus am Kreuz. Ein paar Kerzen brennen. Das ist gemütlich. Das Flüstern klingt, wie wenn hier wirklich Geister im Raum sind. Als alle fertig sind, machen die ein Kreuz auf der Brust. Ich mache auch ein Kreuz auf der Brust. Kein Kind sagt was. Wir gehen alle aus der Kapelle raus. Es ist stockdunkel. Eine Schwester nimmt den dicken Dim und mich wieder mit in das große Haus. Die bringt uns in ein Zimmer und dann verschwindet sie. Im Zimmer steht ein Hochbett und der dicke Dim und ich sollen hier schlafen.
    Der dicke Dim sagt: Endlich bist du da.
    Ich gucke mir das Bett an.
    Der dicke Dim sagt: Endlich kann ich dein Freund sein.
    Das ist nämlich so. Jedes neue Kind bekommt einen Freund, wenn es hier ankommt. Der Freund erklärt dir, was du hier machen musst, und passt auf dich auf. Der dicke Dim darf noch nie auf einen aufpassen. Aber jetzt soll der eben auf mich aufpassen. Mehrere Tage müssen wir hier zusammen in diesem Zimmer sitzen. Der dicke Dim betet mir alle Gebete vor. Der dicke Dim erzählt mir, wer Maria ist. Der dicke Dim passt genau auf, was ich mache. Wenn ich nur einen Satz falsch sage, unterbricht der mich. Ich merke mir alles sehr schnell. Ich habe keine Lust, mit dem dicken Dim hier in diesem Zimmer zu sitzen. Der dicke Dim will, dass ich ihm meine Sünden erzähle. Der dicke Dim will, dass ich ihm Fragen stelle. Ich sage nichts. Ich stelle auch keine Fragen. Die meiste Zeit sitzen wir auf dem Bett und halten die Klappe. Ich unten. Er oben. Manchmal kommt eine Schwester und kontrolliert uns. Die bringt uns Kaffee. Über der Tür hängt ein Jesuskreuz. Ich frage den dicken Dim, ob der mir eine Räuberleiter macht. Der dicke Dim ist zu schwach und kann mich nicht halten.
    Wir werden sehr früh geweckt. Wir gehen in die Kapelle. Eine von den Schwestern macht ein Morgenlob und alle beten wir zusammen einen Rosenkranz. Dann gibt es Frühstück. Jeder bekommt eine Scheibe Brot mit Rahm. Der dicke Dim isst nichts. Der dicke Dim und ich gehen in unser Zimmer. Was die anderen Kinder jetzt machen, weiß ich nicht. Der dicke Dim verrät es mir nicht. Nach dem Mittagessen gehen der dicke Dim und ich wieder in unser Zimmer. Am Nachmittag treffen wir uns draußen mit den anderen und alle beten wir zusammen wieder einen Rosenkranz. Die anderen Kinder gähnen. Vor dem Abendessen machen wir noch einmal einen Rosenkranz, aber diesmal muss dabei jeder für sich allein auf dem Gelände rumspazieren. Nach dem Abendessen gehen wir alle wieder in die Kapelle. Eine Schwester macht ein Abendlob. Wir beten zur Mutter der Barmherzigkeit. Wir gehen schlafen. Der dicke Dim und ich in unserem Zimmer. Die anderen Kinder im Schlaflager nebenan. Nur der dicke Dim und ich schlafen im großen Haus bei den Schwestern. Die anderen Kinder schlafen alle zusammen in einem großen Zelt.
    Eine Schwester weckt mich mitten in der Nacht und nimmt mich mit in die Kapelle. Da stehen auch die anderen Schwestern. Ich soll mich hinknien. Die Schwestern stehen vor mir und halten sich an den Händen. Ein paar Kerzen brennen.
    Die Schwestern sagen: Maria ist erschienen, um uns zu sagen, dass Gott existiert.
    Ich sage: Gott existiert.
    Die Schwestern sagen: Himmel oder Hölle, das heißt mit oder ohne Gott.
    Ich sage: Mit Gott.
    Die

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