Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Du hast mir aus dem Herzen gesprochen, ich werde Maja heute noch sagen, dass ich mich von ihr trennen möchte. Bloß wie?“ Auch dafür hat diese kluge, junge Frau Rat, und als sie mich verlässt, um weiterzugehen, weiß ich, wie ich mich klar artikulieren kann.
Theoretisch. Denn jetzt folgen Stunden, in denen ich zwischen Mut und Feigheit schwanke, mir Sätze zurechtlege und Szenarien konstruiere. Ich fühle mich wie vor meiner Hinrichtung, und als Maja um drei Uhr nachmittags endlich auftaucht, bin ich am Ende meiner Kräfte. Mir bleibt noch eine kleine Galgenfrist, bis sie gegessen hat, dann will ich es nicht mehr hinausschieben und sage ihr unumwunden und direkt, dass ich ab morgen ohne sie weitergehen möchte. Und dass es mit ihrer Person nichts zu tun hat.
„Dann muss ich wohl nach Hause fahren.“
Diese unerwartete Reaktion macht mich noch elender, doch als sie nach kurzer Pause anfügt, „Vielleicht sollte unser Gehakel dazu dienen, dass wir jeder allein gehen“, scheint auch sie die Möglichkeit zu sehen, den Weg fortzusetzen und ich atme weiter. Und beginne zu weinen. Da tröstet sie mich mit den Worten „Du fühlst dich wohl nach altem Muster schlecht und schuldig, wenn du für dich sorgst“, und trifft damit so sehr ins Schwarze, dass ich vor Betroffenheit und Rührung noch mehr heule. Und dann nehmen wir uns in die Arme und sie sagt „Wahrscheinlich sollte es so kommen“, und dass sie weitergehen wird, obwohl sie Angst davor hat. Und ich versichere, dass ich auch Angst habe, und heute schon ganz viel Angst überwinden musste und nun fix und fertig bin — und dankbar, dass sie es so aufnimmt.
Auf dem kurzen Weg zur Herberge ist unsere Stimmung entkrampfter, als wäre von uns beiden eine große Last abgefallen, doch wir sind auch traurig. Da tut es gut, dass die Hospitalera Victoria uns lächelnd empfängt und das Zimmer klein und behaglich ist. Und ich fühle mich befreit, weil ich endlich eine Entscheidung gefällt habe. Und sie ausgesprochen habe.
„Ich hätte gern unsere gemeinsame Fahrkarte.“ Ja gern Maja, ich mache mir noch keine Gedanken, wie ich zurückkommen werde. Und dass ich von jetzt an ohne Reiseführer wandere, ist auch nicht schlimm, das Zettelchen aus St.-Jean mit allen Herbergen und den Entfernungen zwischen ihnen, reicht mir.
Ich wollte einfach nur noch gehen, ungeplant und frei, und je weniger ich von dem wusste, was mich erwarten wurde, desto leichter schien mir die Zukunft. Von Minute zu Minute fühlte ich mich besser und auch Maja ging es gut. Behutsam, liebevoll und offen wie selten zuvor konnten wir plötzlich miteinander sprechen, verstanden was wir voneinander gelernt hatten und nahmen Abschied. Ich dankte Maja, dass sie mit mir aufgebrochen war und mir damit den Beginn der Wanderung leichter gemacht hatte. Und wünschte ihr für den weiteren Weg buen camino.
Ich hatte es geschafft. Erstmals hatte ich eine belastende Situation nicht durch Weggehen gelöst, sondern bewusst meine Gefühle zugelassen, meine Bedürfnisse wahrgenommen und entschlossen für mich gehandelt. Als sogar Max später am Telefon mein Tun guthieß und mir Mut machte: „Das schaffst du auch allein“, wurde mir noch leichter ums Herz, und ich war ihm dankbar und ein bisschen stolz auf mich. Aber durfte ich wirklich so handeln? Du wirst meine Zweifel nachvollziehen können, liebe Wiebke.
Ich bin noch lange durchs stille Dorf gelaufen, um zur Ruhe zu kommen, und wurde immer sicherer, dass es gut war, wie es war und kommen würde.
Sei uns Begleiter auf dem Wege,
Führer in den Scheidewegen,
Kraft in der Müdigkeit,
Schutz in den Gefahren,
Herberge auf dem Wege,
Schatten in der Hitze,
Licht in der Finsternis,
Trost in der Mutlosigkeit
Und Stärke in unseren Vorsätzen
Mein Weg mit Eric
Gewissensbisse
Tardajos — Hontanas > 21 km
Nach dieser Nacht wurde mir der Abschied leicht. Meine Freude über das kuschelige Zimmer war einem hilflosen Aushalten im Gestank von Majas Beindurchblutungssalbe gewichen, nun waren meine Augen geschwollen, ich musste ständig niesen und meine Nase lief. Ich hatte schlecht und wenig geschlafen, wachte erst um sieben Uhr auf. Mürrisch, hektisch. Viel zu spät bei diesem Wetter — und in dieser Situation. Nach einer letzten Umarmung habe ich Maja zurückgelassen und bin aufgeregt aufgebrochen. Allein. Endlich. Auf der Straße atmete ich tief durch. Ja, meine Entscheidung war gut, ich fühlte mich frei und entlastet, nur in meinem Bauch regten sich immer
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