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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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stadtauswärts“.
    Also wieder durch wimmelige Altstadtgassen und Baustellenchaos, über einen Platz mit einem Reiterstandbild des Volkshelden El Cid, vorbei an einer Reihe eleganter Cafés voller eleganter Leute, unter elegant gestutzten Platanen, zum wuchtigen Stadttor Santa María, das ich nur flüchtig mustere. Über den Fluss, auf denselben Weg wie vorhin.
    „Wie weit ist es noch?“ Endlich ein bekanntes Gesicht, die Schweizerin, die seit fünf Monaten unterwegs ist und uns ohne Rucksack entgegenkommt. „Nicht mehr lange, immer weiter bis zum Park links und dort rein.“ Viel weiter biegt der Weg ab, und da sind endlich Wäscheleinen und Leute, und dahinter zwei Baracken. Die sind sauber und hell, und Betten gibt es noch genug; der Duschcontainer wird gerade aufgeschlossen, ist also auch sauber, und das Wasser ist warm und mir geht es wieder gut.
    Jeden Tag reduzieren sich meine Bedürfnisse mehr auf das Notwendigste.
    Jetzt will ich in die Stadt zurück, allein, weil Maja sich kaputt fühlt, und diesmal werde ich den richtigen Weg nehmen, den kurzen, direkten, den mir einer der 100 Menschen vor der Herberge gezeigt hat.
    Die Erwartung des Kunstgenusses beflügelt meine Schritte, aber dann ist da plötzlich eine Bar mit leckeren Tapas im Fenster und urplötzlicher Bärenhunger stoppt mich. Auf der Stelle muss ich ein paar Häppchen kaufen, richtig fette, mit Mayonnaise und Ei, und sie sofort verschlingen. Danach tragen mich meine Beine nur noch ungefähr 10 Minuten. In einem Park, von dem aus ich über die Stadt schaue, wird mir schlagartig speiübel und schwindelig, und ich falle mit rasenden Kopfschmerzen und letzter Kraft auf eine Bank. Puh, fühl ich mich elend. Nicht elend genug, um noch darüber nachzudenken, ob die Leute vor dem Hotel auf der anderen Straßenseite mich vielleicht für eine Landstreicherin halten und wegjagen. Aber elend genug, eine halbe Stunde liegen zu bleiben, bis mein Kreislauf sich beruhigt und mein Körper sich auf der kalten Steinbank abgekühlt hat. Erst dann kann ich langsam weiter.
    Zuerst zur Kirche San Nicolas oberhalb der Kathedrale. Entzückt fühle ich mich in eine Schatzkammer versetzt, zwischen pompöse Gemälde, Statuen und der dominierenden Altarwand aus Alabaster. Unzählige Figuren bilden Szenen aus dem Neuen Testament und dem Leben des Heiligen Nikolaus. Unbeschreiblich schön. Angerührt bewundere ich die Pracht, und als jemand beginnt Orgel zu spielen, werde ich ganz weich und kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten, heule, schniefe und bin ganz, ganz glücklich. Hierher möchte ich wieder kommen.
    Wie gut, dass die Kathedrale erst um 17 Uhr wieder öffnet, so kann ich meinen Eindrücken nachspüren und mich um irdische Dinge kümmern: Sechs Postkarten schreiben, um meine Selbstverpflichtung hinter mich zu bringen, Geld, Kopfschmerztabletten und Nüsse besorgen, und vor allem eine Kniebandage. Mein rechtes Knie schmerzt seit ein paar Tagen und braucht Stütze, und die Suche danach führt mich durch die ganze Altstadt, ist gleichzeitig ein Stadtrundgang. Und weil ich es nicht lassen kann, mich einzumischen, schaue ich noch, wo Maja einen leichteren Schlafsack kaufen könnte.
    Mittlerweile ist es Nachmittag, ich kann endlich die Treppen zur Kathedrale erklimmen und ihren gewaltigen Vorraum betreten. Mir geht es anders als Cees Nootebom, der in diesem aufgetürmten Raum steht und nichts sieht. Mich stören nicht die Wände des Chors, die den Raum unterbrechen, ich schaue wie immer kleinteilig und sehe Pracht und Vielfalt. All die Kapellen mit ihren Kunstwerken und Kuppeln und eine wunderbare goldene Treppe; die Holzschnitzereien, Skulpturen und unzählige andere Schätze. Bin überwältigt, könnte niederknien vor all der Herrlichkeit, die ohne das Grab des Heiligen Jakobus nie entstanden wäre, weil auch die Künstler und Baumeister den Pilgern hinterherzogen. Doch stattdessen fliehe ich. Es ist zu viel. Zu viel Kultur zu all den anderen Eindrücken meines Camino, und plötzlich schwant mir, dass mein Weg eine ganz andere Dimension hat, als ich ahne.
    In der Abendsonne treffen Maja und ich un s wieder, kaufen zusammen einen Schlafsack für sie und essen danach richtig schlecht. Die Stimmung zwischen uns ist verkorkst, keine erfüllt die Erwartungen der anderen. Ich fühle mich wie in einer unglücklichen Beziehung, kann anscheinend nichts daran ändern, muss es aushalten.
    Schweigend gehen wir im Dunklen zurück zur Herberge, in der das Leben tobt. Doch das

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