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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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erreicht mich kaum noch, denn schon während ich auf mein Kissen sinke, fallen mir mit einem letzten Gedanken die Augen zu: „Ach, so ist das, wenn einem beim Hinlegen schon die Augen zufallen.“

Entscheidung
Burgos — Tardajos > 9 km

    Auch nach mehr als zwei Wochen Herbergsleben passiert noch Unerwartetes.
    Während wir auf dem Platz zwischen den Baracken unsere Schuhe anziehen, Radfahrer schrauben, Wanderer packen und einige Gestalten noch unter freiem Himmel schlafen, hebt der kleine, bärtige Hospitalero eine Trillerpfeife an den Mund und schreckt uns mit einem langen Pfiff auf. „Wir schließen, verlasst bitte die Häuser.“ Putzfrauen klappern mit Besen und Eimern, drinnen und draußen wird es hektisch, doch erst nach dem dritten Pfiff einige Minuten später stolpert auch der letzte Radler mit einem wirren Haufen Kleidung in beiden Armen aus der Tür.
    „Wollen wir nach Burgos zurück und frühstücken?“ „Nein.“ Maja hat Kopfschmerzen und will zur Post, um ihren schweren Schlafsack nach Hause zu schicken. Schweigend gehen wir zusammen ein Stück Richtung Stadt, und obwohl ich den Morgen ganz bestimmt nicht auf der Post zubringen will, fühle ich den Impuls Maja zu begleiten. Muss mich richtig anstrengen, an mich zu denken und zu tun, was ich möchte, entscheide mich vorauszugehen und sage: „Ich geh vor und warte in Tardajos auf dich“, und Maja nickt und geht bedrückt davon.
    Dann werde ich jetzt allein frühstücken, in der nächsten geöffneten Bar zwischen herumstehenden Männern, die fernsehen, rauchen und schweigend Schnaps und Wein trinken. Ich steh mit meinem Café dabei, wundere mich über die Vielfalt der Lebensgestaltung und versuche meine Gedanken und Gefühle zu ignorieren. Sonst würde ich jetzt ziemlich schlecht gelaunt sein.
    Erst als ich stadtauswärts wandere, kann ich das nicht mehr durchhalten. Neun Kilometer heute. Bei dem Gedanken steigt noch mehr Ärger in mir auf. Ich möchte gehen und nicht warten, und bei allem Respekt vor Majas Andersartigkeit fühle ich mich gebremst und unzufrieden, grüble und verstehe plötzlich, was mich auf dieser gemeinsamen Wanderung unglücklich macht: es ist die Fortsetzung meines lebenslangen Kompromisses. Ich möchte doch einmal anders leben, nur für mich in meinem Rhythmus, und das funktioniert so einfach nicht.
    Eine kleine Stadt taucht auf, mit einem Kirchturm voller Storchennester, aber sie interessiert mich nicht. Auch die Badestelle am Fluss hält mich nicht, obwohl ich Abkühlung nötig hätte, weil es schon wieder heiß ist. Mein Kopf ist mit Gedankenwirrwarr verstopft, ich trotte, will nach Tardajos und endlich Klarheit, wie es weiter geht.
    Der Ort ist eine staubige Ansammlung von Häusern an einer Hauptstraße. Mit einer Bar, vor der ich warten werde. Ich setze mich, lege die Füße hoch — und zucke zusammen. Zwei Frauen reden plötzlich auf mich ein, Ursula aus Viana und die Nervensäge aus Belorado tun, als wären wir Freunde und überschütten mich mit Klagen. „Stell dir vor, wir wollten hier in die Herberge, aber die Hospitalera hat uns nicht reingelassen, weil es noch zu früh ist, wir sollen weitergehen!“ (Es ist halb elf vormittags.) Empört schimpfen und jammern sie: „Und jetzt wollen wir zurück nach Burgos, um von dort den Bus nach León zu nehmen, aber von diesem Dorf fährt kein Bus, und wir können nicht mehr laufen und wissen nicht, wie wir zurückkommen.“ Ich wünsche die zwei dahin, wo der Pfeffer wächst, tue freundlich und bin erlöst, als ein Autofahrer sie mit nach Burgos nimmt. So viel schlechte Stimmung brauche ich heute Morgen nicht. Ich möchte allein sein und denken. Sitze, schaue auf die Straße, lass die Stunden vergehen.
    Und dann kommen Brad und Savannah. Die dürfen mich gern stören, mir von London und Australien erzählen und mich fragen, warum ich so seltsam bin. Wir mögen uns, ihnen kann ich mein Herz ausschütten und anvertrauen, dass es mir schlecht geht, weil ich am liebsten allein weitergehen würde, aber mich Maja verpflichtet fühle und nicht weiß, wie ich handeln soll. Ohne Hemmungen spreche ich über meine Gefühle, sie verstehen mich, aber teilen meine Bedenken nicht: „Warum machst du dir Gedanken? Ihr seid beide erwachsen und du bist nicht für Maja verantwortlich, sondern in erster Linie für dich. Hier bist du auf deinem Weg, das ist dein Camino, vielleicht die einzige Zeit in deinem Leben, in der du für dich im Mittelpunkt stehst. Nimm sie dir.“ „Danke Savannah,

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