Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
erkenne ich die Grenzen meiner Belastbarkeit, trinke so schnell so viel ich kann, und als ich auf einem kreuzenden Teersträßchen den Hinweis «Bar 9 km» gepinselt sehe, gieße ich das zusätzliche Wasser aus und kämpfe mit mir, auch die Flasche wegzuwerfen. Nein, nirgendwo liegt Müll, der ganze Camino war bisher sauber, ich möchte nicht das Sozialschwein sein und nehme die Flasche mit. Auch so trägt sich’s schon viel leichter.
Und dann holt mich Katharina ein, geht ein Stück Weg mit mir und erzählt von ihren Liebesverwicklungen, ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit und ihrer Angst sich zu binden. „Hoffentlich finde ich meinen Freund in León.“ Schade, dass ich das nie erfahren werde, denn wir verlassen einander bald wieder und sehen uns nie mehr.
Immer weiter führt der knirschende Pfad durch die immer gleiche Landschaft, nur der Sonnenstand verändert sich. Durch meinen Kopf laufen irgendwelche Gedanken oder auch nichts. Alles ist gut. Die Zivilisation kehrt am späten Vormittag in Calzadilla de la Cueza zurück. Seltsam, dass plötzlich eine Kirchturmspitze auftaucht und dann das kleine Dorf beim Näherkommen in der Niederung. Mit einer Bar, in der fast jeder Pilger nach 17 Kilometern Darben einkehrt und in der es laut und turbulent ist. Dahinein gehe ich mit meiner Melancholie und meinem Wunsch, dass die einzigartige Stille des heutigen Weges nicht aufhören soll, esse und trinke und bin wieder in der Realität des Lebens. Auch gut.
Vor einer Herberge sitzen Wanderer. Ich gehe weiter, vielleicht nach Ledigos? Die Landschaft hat sich verändert, ist wieder hügelig und grüner, und der Weg steigt und fällt neben der Straße. Das Gehen fällt mir leicht, meine Kondition ist gut und ich habe mich an das Klima gewöhnt. Ich will auch nicht in Ledigos bleiben. Die Herberge hat noch geschlossen und davor sitzen lauter Unbekannte. Wenn ich mir die Füße hier im Brunnen kühle, sind die wenigen Kilometer nach Terradillos de los Templarios ein Klacks. Am Weg stehen Entfernungsangaben, die mich reizen, meine Geschwindigkeit zu testen: 10,25 Minuten pro Kilometer sind nicht schlecht und bringen mich schnell in ein ödes Kuhdorf. Soll dies das Dorf mit dem geheimnisvollen Namen sein? Tatsächlich, ich bin am Ziel und starre enttäuscht auf die wenigen Häuser aus Fachwerk, Lehm und Stroh, von denen manche eingefallen sind, und andere auf Lehmuntergeschossen ein weiteres Geschoss aus Ziegeln tragen. Ob das hält? Na, jedenfalls erfüllt der Ort nicht die Erwartungen, die mir sein großer Name suggeriert hat.
„Wo ist die Herberge?“ „Where the washing is.“ Danke, das war eine treffende Auskunft, jetzt sehe ich selbst auch schon die krakelige Aufschrift an einer Hauswand, gehe um eine Ecke und stehe vor einem unsäglichen, unverputzten Anwesen, das wie eine Baustelle wirkt.
Entschuldigung, Señora Hospitalera, ich nehme ganz schnell meine Negativbewertung zurück, denn der kühle Fünf-Bett-Frauen-Raum mit Einzelbetten, bezogenen Decken und Laken und die badezimmerähnlichen Einzelduschen sind erstklassig. Alles ist sehr sauber und ruhig, ich werde gleich ein wenig schlafen, doch vorher muss ich wieder weinen. „Kann ich dir helfen?“ Meine mir unbekannte Bettnachbarin schaut liebevoll zu mir. „Danke, nein, das ist nur der Camino.“
Was ist denn mit mir los?
Schön, dass ich Roberte im Garten zwischen müden, schreibenden Fremden sehe, unser kurzes Gespräch gibt mir Sicherheit. Jetzt möchte ich Espresso trinken, im Restaurant im anderen Gebäudeteil, und da sitzt Eric, strahlt mich an und winkt mich zu sich. „Gut, dass du kommst. Ich hab dir was zu sagen. Wollen wir spazieren gehen?“
Ich habe mich gefreut, ihn zu treffen, mit ihm durch dieses eigenartige Dorf zu streifen und zu reden. Er hat sich für sein garstiges Verhalten entschuldigt, und für den Kuss (wäre nicht nötig gewesen!). Der sollte Theresa verschrecken — wenn er sich offensichtlich für mich interessierte, würde sie ihn hoffentlich in Ruhe lassen. Das hatte geklappt, jetzt lief er mit mir herum, erzählte von seiner Arbeit als Lehrer und seinem Hobby Shiatsu. Und dass er sich berufen fühlt, Menschen auf dem Camino zu helfen. „Ich habe schon vielen Wanderern Shiatsu gegeben, wenn sie Probleme beim Gehen hatten, möchtest Du zur Wiedergutmachung eine Behandlung?“ Klar wollte ich. Und dann lag ich in der Nachmittagssonne auf einem Feld und ließ mir Waden und Füße drücken und massieren, hörte etwas über
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