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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Tugenden glücklich in unsere Heimat zurückkehren mit andauernder Freude.
    Durch Christus unseren Herrn. Amen.

Mein Weg allein

Helfer
León — Santibáñez de Valdeiglesias > 15 km

    Ich werde heut weitergehen, einfach erst mal los. Trotz meiner Angst, der Schmerzen und des Regens, der gegen die Fenster klatscht. Ich bin entschlossen und meine Vermieterinnen machen mir Mut; sind lieb zu mir, nehmen mich in die Arme, obwohl sie böse sein könnten, weil ich ihnen Ärger ins Haus geschleppt habe. „Damit hast du doch nichts zu tun, mach dir keine Sorgen, pass auf dich auf und komm gern wieder. Buen camino“.
    Mir ist nicht nach „gutem Weg“. Draußen ist es dunkel und kalt und der Regen peitscht mir ins Gesicht, als ich das letzte Mal an den weißen Türmen der Kathedrale emporschaue. Dann senke ich den Blick, um die messingfarbenen Jakobsmuscheln auf den Gehwegsteinen zu finden, die den Weg aus der Stadt markieren, drücke mich gegen Hauswände, um nicht allzu nass zu werden — und fühle mich schrecklich verlassen. Ganz allein und klein in dieser dunklen Großstadt im kalten Regen. Nichts von all dem feuchten, grauen Granit um mich her interessiert mich — heute Morgen ist mir einzig mein Selbstmitleid wichtig. Und dass ich nicht in die tiefen Pfützen trete. Und einen Platz zum Unterstellen habe, wenn sich der Dauerregen zu heftigsten Schauern verstärkt. Warum habe ich nicht auch so einen großen Regenumhang? Ich bin neidisch auf die eingehüllten Gestalten, die zielstrebig an mir vorbeilaufen, während ich mich in Hauseingänge flüchte. Meine Jacke ist schon fast durchnässt, hoffentlich bleibt der Rucksackinhalt trocken.
    Und nun dieses Industriegebiet ohne Bäume und Häuser. Nur Zäune und lange Straßen. Und wieder schüttet es plötzlich wie aus Eimern und ich kann mich nur in ein Abbruchgebäude retten, hinter eine Plane. Bis auf Schrott in einer Ecke ist es leer, doch als ich meine Brille trockne und wieder sehen kann — stehe ich vor Schafkadavern. Und möchte kotzen. Und schreien. Was mache ich hier auf diesem verdammten Weg mit meinen schmerzenden Beinen bei diesem Scheißwetter in dieser schauderhaften Baracke? Weg mit der Brille, ich will nichts mehr sehen! Nur noch heulen.
    Und mein Mut, und mein Optimismus? Sind irgendwo, aber nicht bei mir...
    Will mich denn bitte keiner retten? Eric, komm doch einfach und führ mich wieder, ich will dich dann auch aushalten mit deiner Kompliziertheit und deinen Launen.
    Nein.
    Es dauert lange, bis der Guss vorbei ist, ich habe Zeit zum Nachdenken.
    Warum würde ich Unakzeptables erdulden, nur um weiterhin von Eric begleitet und beachtet zu werden, bin ich abhängig von der Sehnsucht, mich angenommen zu fühlen? Das würde in mein Bild von mir passen, aber da ist auch noch der andere Teil, der sich Freiheit wünscht, frei vom Bedürfnis wichtig zu sein und möglichst perfekt. Ja, das ist es, was ich wirklich möchte: Allein eigene Wege gehen können und dabei zufrieden sein. Wenn ich das leben könnte, hätte ich wirkliche Unabhängigkeit! Und warum soll ich nicht sofort damit anfangen, wann und wo könnte ich es besser üben als jetzt hier? Einfach mit diesem ,besseren Teil’ weitergehen, und das Alte hier lassen — bei den Leichen, wo es hingehört.
    Schon sieht der Moment weniger trostlos aus, und der Regen wird eben schwächer. Die Brille kann ich ja noch eine Weile in der Tasche lassen und es mir ersparen die Welt anzusehen, was kann mir schon entgehen, hier an der Hauptstraße.
    Durchnässt erreiche ich La Virgen del Camino, wo sich der Weg gabelt, doch mich interessiert nur die Bar, in der es warm und trocken ist, wo es Warmes zu trinken und zu essen gibt und ich meine schmerzenden Beine hochlegen kann. Gott sei Dank, ich kann mich setzen und ausruhen. Doch kaum habe ich einer jungen Frau am Tisch zugenickt, beginnt sie zu erzählen: Von ihrer anstrengenden Reise mit einer Freundin von Mexico per Flugzeug nach Pamplona, dann zwei Tage per Bus nach Roncesvalles, weil sie glaubten, nur dort ihre Credenciale bekommen zu können, und weitere zwei Tage per Bus nach Burgos, wo sie sich völlig entnervt getrennt haben, statt loszugehen. (Sieh an, andere können das noch verschärfter!) Nun fühlt sie sich allein und weiß mittlerweile, dass alle großen Herbergen Credenciale ausstellen. Tja, Pech. „Vielleicht ist es für dich besser allein zu gehen.“ Mehr kann ich nicht für sie tun, weiß doch selbst nicht, wie es heute mit mir weitergeht.
    Doch

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