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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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und seelischen Beistand. „Und dir will ich auch erzählen, dass ich in den letzten Tagen zu meiner ,inneren Frau’ gefunden habe, und mich aufgewühlt und bereichert fühle.“ Emphatisch erzählt er von seiner verstorbenen Tochter, damit zusammenhängenden Träumen und der Anwesenheit Luzifers auf der Welt, „der uns mit seinen drei Erscheinungsformen ,skin, proudness and materialism’ versucht“. Dazu habe ich aktuell auch was zu sagen. Raymond quittiert jeden Satz mit einem erstaunten „IMAGINE!“, und tröstet mich mit seinem schier unerschütterlichen Glauben: „Vielleicht musste ich krank werden und hier bleiben, um dich zu treffen und dir von Gottes heilsamer Liebe zu erzählen. Mit Sicherheit hat ER dir deine Tendinitis geschickt, damit du inne hältst und etwas Neues verstehst. Doch Gott hilft uns immer wieder auf. Er zieht unvermittelt sein kariertes Hemd über seinen vernarbten Bauch und den Holzfällerbrustkorb hoch: „Ich war sehr krank, aber ER hat mich wieder gesund gemacht, damit ich hierher kommen konnte, und ER wird es mir auch noch ermöglichen, nach Lourdes und Fatima zu gehen.“
    Sarah hat für einige von uns gekocht, und auch bei dieser Mahlzeit sind Gott und die Kirche Hauptthema. Christian, ein Jesuitenzögling aus Berlin, schmettert meine Kritik an der Institution katholische Kirche ab: „Reduziere sie nicht auf Männermacht, Frauenfeindlichkeit, Zölibat und Abtreibungsdebatte. Sie vermittelt Glaubensinhalte, bewahrt Traditionen und bereichert das Leben der Gläubigen durch Gemeinschaft, Zeremonien und Mythen.“ Darüber muss ich nachdenken, doch vorher nehme ich dankbar Sarahs Geschenk einer Halsreflexmassage an, mit selbst gemachtem Rosmarinöl. Danach rauche ich noch eine Zigarette mit Raymond, setze Oinki neben mich und lese die Briefe meiner Kinder zum wiederholten Mal.

    Es hatte geklappt. Ich konnte wieder laufen. War nicht verloren gegangen, an Einsamkeit verdorrt, hatte mich auch nicht im Regen aufgelöst. Anscheinend war es mir wieder möglich, allein zu gehen und mich dabei wohl zu fühlen. Meine Depression vom Morgen war heiterem Gleichmut gewichen, und allmählich wuchsen meine Tatkraft und meine Ungeduld.

Distanz
Santibáñez de Valdeiglesias — Astorga > 13 km

    Astorga.
    Vor drei Tagen habe ich nicht erwartet, diese Stadt so bald zu erreichen, nun liege ich hier in einem warmen Bett in diesem famosen Schlafsaal, froh, so weit gekommen zu sein. Kristin hat mir eben meine gewaschenen Kleider gebracht. Getrocknet und zusammengelegt. Die Liebe, ich bin ihr so dankbar, dass sie mir diese Notwendigkeit abgenommen hat, es wurde höchste Zeit dafür! Mona und Hans sind auch hier und haben mir angeboten, mich morgen auf dem Weg in die Berge zu begleiten.
    Alle sind nett zu mir, doch trotzdem ist mir nach Absonderung und Alleinsein. Ich mochte mich nicht zu der lustigen Truppe gesellen, die vorhin zusammen gegessen hat; habe mit dem Kochen gewartet, bis sie weg waren, wollte nicht dazugehören. Jetzt sitzen sie unten, trinken Wein und lachen, und ich liege hier und schließe mich wieder aus. Aber irgendwie ist das stimmig, und irgendwie fühle ich mich wohl damit. Ich brauche Ruhe, um die letzten Tage zu verarbeiten.
    Den ganzen Tag ist mir Gutes geschehen. Sarah hat uns mit Musik geweckt, Frühstück gemacht und mir noch eine Massage geschenkt, bei der ihre junge Katze neben meinem Bein lag, „um die schlechte Energie aufzunehmen“. Und Raymond, der mich beim Abschiednehmen segnete und fast erdrückte, hat mir, neben der Bitte für ihn und Sarah in Santiago zu beten, auch den guten Rat „Folge immer deinem Herzen“ mitgegeben. Schön. Welch ein schöner Gedanke! Es ist mir schwer gefallen, diesen tröstenden Ort zu verlassen, zumal es schrecklich regnete und wehte. Und bitterkalt war. Aber mein Weg ist noch lange nicht zu Ende.
    Es wurde trotz des Wetters ein schöner Morgen. Im Dorf hatte ich noch auf dem Schotterweg von einem trockenen Fleck zum anderen hüpfen müssen, wie über Inselchen in einem See, dann wurde der Weg fest und führte mich durch Steineichenwälder und Heidelandschaft mit duftenden Zistrosen. Still kreisende Raubvögel schienen die einzigen Lebewesen außer mir zu sein. Erst als zwei Stunden später Astorgas Türme im Regendunst vor den Montes de Léon auftauchten und ich mich einer Straße näherte, sah ich das erste Auto. Konnte gerade noch aufs Feld springen, als es mit hoher Geschwindigkeit durch die Pfützen auf mich zuhielt, und wurde nur

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