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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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um Zentimeter von einem meterhohen Wasserschwall verfehlt. Augenblicklich stieg rasende Wut in mir hoch und ich brüllte böseste Verwünschungen hinter dem Fahrer her — und das entspannte und erleichterte mich und ich begann wieder zu singen, froh über meine neue innere Freiheit: Der gestrige Tag ist überstanden und meine Schmerzen sind nicht schlimmer geworden. Das Wetter könnte zwar wärmer und trockener sein, doch heute hadere ich nicht.
    Am Wegkreuz von Santo Toribio traf ich andere nasse Gestalten, die auf der Alternativroute an der Hauptstraße gewandert waren. Gemeinsam freuten wir uns über den Blick auf Astorga, und noch mehr über das kleine Städtchen direkt vor uns, weil wir schon von dort oben eine Bar erkennen konnten. Endlich ein trockener Ort, um unsere nassen Sachen auszuziehen.
    Das hatten andere vor uns auch schon getan. Es gab kaum noch freie Plätze auf Stühlen und Fensterbänken, und zwischen den tropfenden Kleidern verkündete ein bis auf die Haut nasser Hans: „Heute kauf ich mir endlich einen Regenumhang.“ Die Wirtin blieb in all dem Chaos ruhig, servierte riesengroße Salchichon-Bocadillos, die für drei Leute reichten, kochte unablässig Kakao und Café und behielt gute Laune, obwohl der schöne Raum einem voll gerumpelten Flüchtlingslager glich. Und dann sagte jemand, „Der Regen hört auf“, und alle packten wieder ein und zogen weiter. Der Himmel war wirklich heller, ich konnte meine Jacke im wärmer werdenden Wind auf dem Rucksack trocknen und wurde schon wieder übermütig. Weil es doch so gut ging mit dem Laufen, könnte ich vielleicht auch weiter als bis Astorga gehen, wenn das Wetter so blieb...
    Der wieder einsetzende Regen war das ,Gottesurteil’ hier zu bleiben, und die steilen Straßen in die Stadt hinauf taten ihr Übriges: Meine Beine waren an der Grenze des für heute Zumutbaren. Und dann kam ein richtiger Wolkenbruch, vor dem ich mich in eine Kirche flüchten musste.
    Dort bin ich der Mutter Maria begegnet.
    Von der Altarwand lächelte sie strahlend bekrönt im blaugoldenen Gewand mild zu mir herab, mitten in mein Herz. Und ihr hingebungsvolles, liebendes Halten der Hände des zarten Jesusknaben berührte mich so sehr, dass ich sie das erste Mal als Mutter begriff. Als Mutter der Liebe. Ich konnte mich nicht mehr abwenden, nur entzückt schauen und wieder weinen; vor Ergriffenheit und Glück. Da tippte mir ein alter Herr zart auf die Schulter und gab mir wortlos lächelnd ein Kärtchen mit einer Kopie dieses anmutsvollen Heiligenbildes in die Hand. Schenkte mir mit dieser Geste ganz viel Liebe, und vor Dankbarkeit musste ich noch mehr weinen.
    Nur ungern hab ich mich aus dieser heiligen Atmosphäre gelöst, doch die Kirche wurde geschlossen, ich musste wieder hinaus. Traf draußen Christian und seine Freundin Kristin, und gemeinsam fanden wir dieses komfortable Refugio, gleich hinter dem skurrilen Gaudípalast und der Kathedrale.
    Seitdem drehte sich alles darum, wie meine Jacke wasserfest wird oder ob ich mir einen Regenumhang besorge, und was ich heute einkaufen und essen möchte. Mein Kopf wurde immer langsamer und dumpfer, ich konnte mich nicht einmal entscheiden, einen der himmlischen Schokoladenläden zu betreten, und wurde in meinem Tran fast von einem Lastwagen überfahren. Trotzdem bin ich noch in die Kathedrale gegangen, doch sie hatte es schwer, an die in Burgos und León heranzureichen. Das Pilgermuseum im Gaudípalast hätte ich mir gern noch angesehen, doch es reichte mir, und ich beschloss, den Rest des Tages im Bett zu verbringen. Mit dem Bauch voll köstlicher Kartoffeln, roter Beete und Alfalfa-Sprossen.
    Hier liege ich nun. Habe von der älteren Amerikanerin neben mir gehört, dass zu fest geschnürte Schuhe zu Tendinitis führen können, beobachte die Menschen im Raum und ärgere mich über die herbe, grauhaarige Frau, die mich beschuldigt, ihre Wolldecke genommen zu haben. Wie kommt sie darauf? Mag sein, dass meine gleich aussieht, doch die lag auf meinem Bett, als ich kam, da waren diese Dame und ihren beiden Freundinnen noch gar nicht hier. Sind eh seltsame Personen, viel zu selbstbewusst! Ich kenne sie zwar nicht, und eigentlich wirken sie interessant und unkonventionell — aber auch stark. Ich mag sie nicht. Muss ich ja auch nicht. Ach, eigentlich gehen mich diese seltsamen Frauen gar nichts an. Ich möchte nur in Ruhe gelassen werden, allein sein und schlafen.

Meine Zigarettendose
Astorga — Rabanal de Camino > 21,2 km

    Oh nein,

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