Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Nacht.“
Schön, endlich im Bett zu liegen! Völlig ermattet. Das Spektakel der Samstagnacht drang durch die morsche Balkontür, doch es störte mich nicht. Es passte zu dieser Stadt, die mich hoffentlich mit ihrer Energie anstecken würde! Nein, ich wollte den Camino nicht aufgehen, hier würde ich bleiben, bis ich wieder laufen kann. In dieser Stadt, in diesem Zimmer!
Schrecken
León
Warum ich so viel von Eric erzähle? Weil er unbewusst und ungewollt doch zu meinem Lehrer wurde.
León. Was für eine herrliche Stadt! Die Altstadt ist krumm und verlebt, und daneben beginnen die eleganten, geschäftigen Gründerzeitstraßen mit schmiedeeisernen, verglasten Loggien an den Fassaden, vielen Geschäften und Restaurants. Aber wo finde ich heute Morgen in diesen menschenleeren Straßen nur ein Telefon? Max hat heute Geburtstag und ich bin das erste Mal in 20 Jahren nicht bei ihm, da will ich zumindest früh anrufen. Gut, dass ich nicht zu Hause bin, nicht verantwortlich für Party, Essen und gute Stimmung. Kann ihm von Herzen gratulieren und danach durchatmen — bar jeder Pflicht. Er braucht sich auch keine großen Sorgen um mich zu machen, ich kann wieder langsam gehen, wenn ich vorsichtig auftrete. Und dass ich unausgeschlafen und schlecht gelaunt bin, weiß er nicht. Ich hatte Albträume durch meine Schmerztabletten, doch ich werde sie weiternehmen, diese Nächte stehe ich durch. Vielleicht fühle ich mich nach dem Frühstück besser.
Leider nicht. Zwar gibt es auch hier einen hilfsbereiten Straßenfeger, der sich auskennt, und mein Telefonat ist nett, doch dann treffe ich einen Eric, der noch schlechter gelaunt und deprimierter ist als ich, dem gerade die ganze Pilgerei zum Hals raus hängt. „Die Leute mit ihren ewig gleichen Gesprächen, das schlechte Essen, die unbequemen Betten in vollen Schlafsälen, ich hab es so satt“, und nun sitzt ihm auch noch eine reizbare, graue Peregrinamaus gegenüber. Armer Mann. Da muss ich mich anstrengen geduldig und freundlich zu sein, damit seine Stimmung nicht noch übler wird. Gerade beginnt um uns die Fiesta zu Ehren des Ortsheiligen und ich wünsch mir einen schönen Tag in netter Gesellschaft.
Schon laufen die ersten Schaulustigen zusammen, erklingt Musik von Trommlern und Spielmannszügen aus allen Städten und Dörfern der Umgebung, die mit Gruppen von Fahnenschwingern zur Kathedrale ziehen, um sich zu einem Riesenspektakel zu versammeln. Zum Wettstreit um die größten Fahnen und Lanzen und das mutige Spiel mit ihnen. Zur Demonstration männlicher Kraft, wenn unter Beifallsgejohle einer der Muskelprotze die bis zu zehn Meter hohe und armdicke Fahnenstange aus einem Köcher an seinem Gürtel hebt, sie auf der Handfläche hochstemmt, versucht die Balance zu halten, und die Kraft aufbringt, dieses Riesengewicht in die Höhe zu heben!
Welch kollektives Geschrei, wenn ein Versuch misslingt und der Fahnenmast mit dem großen Tuch in die Menge zu stürzen droht — dann springen die anderen dazu und versuchen ihn aufzufangen; und an der Menge starker Männer, die nötig ist, die Last zu halten, können wir ermessen wie schwer Lanze und Fahne sein müssen. Die tollen Burschen werden immer mutiger, verrückter und versuchen einander zu übertreffen; Durcheinander, Lärm und Gekreische werden größer, die Musik lauter und schriller. Der Platz füllt sich mit Farben und Lebendigkeit, und ich amüsiere mich und werde wieder fröhlich.
Eric mag die Musik nicht und möchte gehen, und ich begleite ihn. Zum Platz vor der Basílica San Isidoro, einige Gassen entfernt. Hier formiert sich just ein Umzug aus Pferde- und Ochsenwagen, geschmückt mit Blumen und Bildern, beladen mit Produkten der Region, begleitet von fröhlichen Menschen in Trachten: Männern mit breitkrempigen Hüten, roten Halstüchern, Rüschenhemden und Kniebundhosen, Frauen in dirndlähnlichen Kleidern mit blumigen Schultertüchern und dicken, geklöppelten, weißen Kniestrümpfen. Dazwischen Unmengen aufgeregter Kinder. Und dann setzen sich die Wagen rumpelnd in Bewegung und fahren durch die brodelnde Stadt, durch die Massen der klatschenden und jubelnden Feiernden. Ich liebe solche chaotischen Vergnügen, doch Eric sind hier zu viele Leute, er möchte in ein Café, und ich begleite ihn. Aber irgendwas mache ich heut falsch. Ich gehe ihm auf die Nerven, weil ich eine Familie habe, die wichtiger als er ist, mich nicht genug bemühe, so zu sprechen, dass er mein Englisch versteht, und meine Laune schlecht
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