Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
wieder schickt mir der Himmel Hilfe. Diesmal ist es eine junge, deutsche Frau, die mich anspricht, nachdem sie das Wasser von ihren Kleidern geschüttelt hat. „Hallo, ich bin Mona. Du siehst ja schlecht aus. Fühlst du dich nicht wohl, kann ich dir helfen? Ich weiß ganz gut Bescheid, bin im April schon mal den Camino gegangen. So, wie du aussiehst, solltest du mit dem Bus weiterfahren, ich denk auch darüber nach. Die kommende Strecke führt an der Straße lang, wo uns alle Autos durchweichen werden, oder alternativ über Sumpfland, wo wir bei diesem Wetter versinken. Ich glaube, ich nehme gleich einen Bus und du solltest mitkommen.“ Danke, Mona, du tust mir jetzt gut. Entscheide du nur für mich, ich mache alles mit.
Und dann parliert und organisiert sie, und kurz darauf stehen wir zu fünft an der Straße, mit Hans und Jutta und der Mexikanerin, die unsicher ist, ob man als Pilgerin denn auch wirklich Bus fahren darf. Da hält schon einer an und eine Frau steigt aus und spricht mit Mona spanisch, und alle steigen ein, und ich hinterher, halte dem Fahrer Geld hin, doch der winkt ab. Hmm, komisch. Irritiert steuere ich einen freien Platz an, zwischen freundlichen, neugierigen Frauengesichtern, und als ich von allen Seiten Deutsch angesprochen und mit Fragen überschüttet werde begreife ich: wir sitzen in einem privaten Reisebus der Sorte ,Pilgerfahrt Bilbao-Santiago in einer Woche‘.
„Eine echte Fußpilgerin, in unserem Alter! Wie kommen Sie denn auf die Idee und wie geht es Ihnen damit?“ Die adretten Frauen sind fasziniert und löchern mich mit Fragen, bis wir eine Viertelstunde später in Hospital de Óbigo halten. Hier steigen alle aus, um die populäre Römerbrücke zu besichtigen, und damit ist die Fahrt auch für uns zu Ende. Macht nichts, es regnet nicht mehr, ich bin aufgeheitert und ausgeruht, habe etwas Unangenehmes einfach übersprungen und hoffe die sechs Kilometer bis zum nächsten Ort zu schaffen. „Danke Mona, adiós.“
Hübsch ist dieser kleine Ort, doch ich mache keinen unnötigen Schritt, um mir die Brücke anzusehen, nur in die Tienda, für Nüsse und Reservetütensuppe, und dann hinaus aufs Land. Auf einen welligen Weg zwischen Gärten voller Paprika und Obst auf Hügel, Dächer und Wäldchen zu. Sicher wird der Bauer mir verzeihen, dem ich eine der roten, knackigen Pimientos klaue, ich kann nicht widerstehen; und die Falläpfel sind mir sicher gegönnt, denn die Leute im nächsten Dorf sind noch freundlicher als anderswo. Jeder, den ich beim Mist schaufeln, Holz sägen oder Knoblauch sortieren treffe, strahlt mich an und grüßt „Hola, peregrina, bist du allein, geht es dir gut?“ Ja, es geht mir gut und ich bin stolz auf meine heutige Leistung, komme gerade ein Stück weiter in die Welt zurück.
Noch ein, zwei Hügelchen über Felder, eine Rast am Wegrand mit Blick über die ruhige Landschaft bis nach León zurück, dann bin ich am Ziel, in der kleinen, alten Herberge in Santibáñez de Valdeiglesias, einem kleinen, alten Dorf. Sarah, die junge Hospitalera, sitzt mit einem Bär von Mann beim Essen in der Küche und lässt sich nicht stören. „Such dir ein Bett.“ Es gibt kleine Zimmer mit wenigen Betten und noch weniger Leuten, Toiletten und Duschen sind draußen im verwunschenen Obstgarten. Anscheinend ist dies ein ehemaliges Schulhaus, vor meinem Bett steht eine alte Schulbank, auf der ich meine Sachen zum Trocknen ausbreiten kann; das Regenwasser hat sich im Rucksacküberzug gesammelt und ist durchgesickert.
Wohltuend ruhig ist es hier, und ich danke allen meinen Engeln und guten Geistern, die mich hierher geschleppt haben. Endlich kann ich die Bandagen lösen und mir mit herrenlosen Socken Ingwerumschläge machen, bei Mona und Hans Tee schnorren und ins Bett sinken.
Nach meinem Schläfchen ist das Haus voll. Die Amerikanerin meines Alters, die sich gerade im Bett über mir einrichtet, erzählt, dass sie die 500 Kilometer seit Roncesvalles in fünfzehn Tagen gelaufen ist, weil ihr Flugzeug Santiago in zwei Wochen verlässt. Während ich zwischen Mitleid und Respekt schwanke, kommt eine Menge junges Volk triefend hereingestürzt und lagert sich im Wohnraum auf dem Fußboden, unter den Leinen mit all den nassen Kleidern. Mittendrin sitzt ,Bär’ Raymond aus Kanada, den ein schlimmer Fuß seit drei Tagen hier festhält. „Hier bin ich am richtigen Platz“, vertraut er mir an, denn hier hat er die heilkundige Hospitalera und den örtlichen Priester als körperlichen
Weitere Kostenlose Bücher