Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
noch alltagskompatibel?
Eliza läuft mir als Nächste über den Weg, kommt just nach Santiago hinein. Strahlend. „Great!“ Wir verabreden, heute Abend miteinander zu essen, doch jetzt brauche ich endlich meinen Mittagsschlaf.
Wie schön, in meinem kleinen Zimmer in meinem weichen Bett zu liegen, aber ich finde keine Ruhe. Eigentlich muss ich mein Flugticket buchen und meinen Kindern schreiben. Mich drängt es, meinen Erfolg mitzuteilen, also stehe ich wieder auf, finde ein Internetcafé, kann ohne Kreditkarte kein Ticket buchen, sende eine Siegesnachricht an meine Kinder und antworte Maja auf ihre Rundmail in meinem Briefkasten. Es ist ihr Reisebericht, sie ist etwa hundert Kilometer vor Santiago. Und dann schreibe ich Eric, weil er wissen soll, dass mich meine Beine bis hierher getragen haben, gratuliere ihm, da er ja sicherlich schon vor einigen Tagen am Ziel war, und wünsche ihm noch eine schöne Zeit, wo immer er ist.
Warum kann ich nicht in meinem Zimmer sein und schlafen oder ruhen? Keine Minute dieses einzigartigen Tages will ich versäumen, will herumlaufen, mich umsehen, habe Angst, irgendetwas zu versäumen. Aber jetzt muss ich zurück, muss in die Badewanne und Energie tanken.
Welche Wonne, im warmen Wasser zu liegen, die Muskeln werden wieder locker, meine Seele entspannt sich. Die Schatten von gestern sind fort, in mir ist nur noch Freude und Leere. Ich öle mich ein, versuche mein zotteliges Haar zu bändigen, will heute gut aussehen und freue mich auf die Verabredung. Santiago, ich komme!
Jetzt nehme ich schon deutlicher wahr, wo ich bin, kenne die Straßen ein wenig, schaue Häuser, Plätze und Geschäfte an, höre den keltischen Dudelsackspielern zu und sitze bald darauf mit Eliza und einem jungen Engländer in einem der vielen noblen Restaurants, an einem weiß gedeckten Tisch, und esse mit Silberbesteck köstlichste Paella mit Langostinos. Eliza hat Mario heute Morgen auf dem Weg kennen gelernt, ihn eben wieder getroffen und kurzerhand mitgebracht. Und wir drei fremden Menschen reden offen über Leben und Gefühle, unsere Wünsche und Frömmigkeit, stoßen auf unsere Leistung an und haben viel Spaß. Mario spricht das Englisch der Südküste, Eliza Amerikanisch, dazwischen sitze ich mit meinem unvollkommenen Schulenglisch, muss mich auf zwei verschiedene Sprachen einstellen, diene den beiden zur Belustigung und bekomme ernsthaften, gut gemeinten Rat: „Fahr noch nicht nach Haus, auch wenn dein Pflichtgefühl dich drängt. Was kannst du schon tun? Dein Platz ist noch hier, du brauchst Zeit zum Ankommen.“
Ja, ihr sprecht mir aus der Seele, ich wünsche mir Zeit und Ruhe zur Besinnung, und dieser Abend war ein wunderbarer Beginn.
Santiago 2
Eigentlich müsste meine Geschichte jetzt zu Ende sein.
Aber: „Der Camino beginnt erst nach dem Camino“, hat Mona gesagt. Und sie hat Recht und darum muss ich weitererzählen.
Ich bin so glücklich aufgewacht, noch glücklicher als gestern, habe meinen kleinen roten Rucksack in der Ecke angesehen und gedacht, dass ich heute eigentlich wieder wandern kann...
Nein, ich will nur die Stadt erkunden und meine Rückfahrt buchen, doch vorher fällt mir die gehortete Banane in meinem Rucksack ein: Jetzt kann ich sie essen, brauche nicht mehr daran zu denken, ob ich irgendwo eine neue oder irgendetwas anderes zu essen bekomme, kann alles aufessen! Und lache, weil ein Caminotrauma sich aufgelöst hat.
Mache mich hübsch mit meinen angegrauten Kleidern, fühle mich leicht, wie neu geboren, schwebe zur Kathedrale, bete in der Marienkapelle für uns alle, schwebe weiter durch die Gassen des alten Santiago, vorbei an eleganten Geschäften, verrückten Bars und Souvenirshops unter Arkaden. Lasse mich im Gedränge aus Touristen, Pilgern, Studenten und Hausfrauen treiben, genieße den Sonnenschein, lächele über alles. Staune über Skulpturen aus Meeresfrüchten und Pulpos in den Fenstern der Restaurants, setze mich in eines der vielen Straßencafés. Finde ein Reisebüro, in dem ich nichts erreiche, und stehe plötzlich vor einer Parfümerie. Muss hinein, greife gierig nach Deo, Shampoo, Lippenstift und Augen-Make-up, und male mich gleich hier vor dem nächsten Spiegel an. Mit Lust. Das erste Mal seit sechs Wochen bin ich eitel, oberflächlich, dekorativ. Und dann kaufe ich mir neue Ohrringe.
Rainer findet sie hübsch. Er sitzt an eine warme Hauswand gelehnt beim Bier und freut sich auf zu Hause, fährt heute Nacht nach München zurück. Schön, mit ihm
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