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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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und Christian. „Oh, wie schön!“ Schon ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen, freuen wir uns miteinander, küssen und drücken uns. Die zwei sind gestern angekommen und müssen heute Abend schon wieder Richtung Madrid aufbrechen. „Leider hatten wir nur zwei Wochen Zeit, jetzt hat der Camino erst richtig angefangen. Wir werden sicher wiederkommen, doch heut müssen wir uns um unsere Rückfahrt kümmern.“ Rückfahrt? Ich will nicht daran denken. „Lasst uns nach der Messe etwas zusammen trinken.“
    Langsam schlendere ich zur Kathedrale. Sie ist wunderbar anzusehen, gigantisch, mit einer verwirrenden Vielzahl von Türmen, Arkaden, Treppen, Bögen, Figuren, Säulen und Vorplätzen, aber sie erschlägt mich mit ihrem Prunk. Hier ist von allem viel zu viel. Nach der Ruhe der Wanderung und der Anstrengung und Erschütterung gestern bin ich dünnhäutig. Vielleicht finde ich bei der Pilgermesse Ruhe.
    Weit gefehlt. Schon eine halbe Stunde vor Beginn gibt es keinen Sitzplatz mehr im gewaltigen Raum, drängen sich Bus- und Autotouristen zu Hunderten, gibt es kaum eine freie Lücke zum Stehen. Zwischen den sonntäglich gekleideten Spaniern sind die wenigen Wanderer leicht auszumachen, und hier und da lächeln mich bekannte Gesichter an, gelöst und heiter. Ich schlängele mich zu einer Säule, an die ich mich eingezwängt anlehne, kann mich im Kirchenraum um sehen und wahrnehmen, was ich gestern nicht sah: All die Pracht und das Gefunkel von Gold und Silber bis in die Spitze der Gewölbe, pompös und beeindruckend.
    Und dazu die glockenreine Stimme einer Nonne, ihre Choräle. Und fünf Priester, die für uns die Messe in verschiedenen Sprachen halten.
    Es ist sehr feierlich, aber ich kämpfe mit dem Zusammenbruch, bin schweißnass, fühle mich so sehr am Ende meiner Kräfte, dass ich kaum stehen kann. Ich sollte hinausgehen, habe meine Messe doch schon gestern Abend gefeiert. Nein, ich bleibe, halte durch. Dies ist die Pilgermesse für uns, die wir die Anstrengungen des Weges gemeistert haben, ich bleibe bei meinen Schwestern und Brüdern. Und mein Aushalten wird belohnt: Zum Ende der Zeremonie lassen acht Männer den traditionellen Weihrauchkessel, den botafumeiro, aus dem hohen Vierungsgewölbe an seinem Tau herunter, füllen ihn, und schwenken dieses riesige Gefäß über die Gläubigen hinweg, in weitem Schwung bis in die Gewölbe der Querschiffe. Ich sitze inzwischen auf dem Fußboden vor den Bankreihen und erschauere vor der Wucht der Zeremonie. Die Kinder neben mir zittern vor Aufregung und ziehen jedesmal die Köpfe ein, wenn der Kessel zischend über uns hinweg saust und seine Weihrauchschwaden uns einhüllen, doch dann pendelt er langsamer, die Männer an den Seilen springen nicht mehr so hoch, das Schauspiel geht vorbei. Was für bewegende Minuten! Andächtig verharren wir, bis auch die letzten Töne des lieblichen Gesangs der Nonne verklungen sind.
    Wieder im Sonnenschein draußen bin ich überrollt von Lärm und Menschenfülle, möchte mich ins Bett verkriechen, doch ich bin verabredet. Im Café Casino, in der Atmosphäre eines Wiener Caféhauses vor 100 Jahren. Schön, so unbeschwert mit Kristin und Christian in gemütlichen, plüschigen Sofas zu sitzen und zu plaudern. Und dann kommt zufällig Hans, und wir gratulieren einander und sind selig. „So, jetzt mache ich ein offizielles Ankommensfoto von dir, schau bitte mal glücklich!“ Kristin zückt ihre Kamera. Glücklich gucken? Tue ich das nicht? Noch überlagert Anspannung mein Glücklichsein, doch sie hindert mich nicht, mich wie ein Star im Sessel zu räkeln. „Gib mir deine Adresse, damit ich dir das Bild schicken kann.“ Für einen kurzen Moment zögere ich, habe mich bisher aus dem verbreiteten Adressentauschen herausgehalten, aber warum nicht? Eigentlich toll, Fotos von mir als Wanderin erwarten zu können, ein Band zu Menschen zu behalten, die mir für kurze Zeit nahe waren und von denen ich jetzt Abschied nehme. Gerührt halten wir uns in den Armen und wünschen uns Glück für die Zukunft. Adieu. Ich werde jetzt schlafen gehen.
    Aber vorher treffe ich meine lieben Bekannten, die Gruppe ,Cola Automat’, die mit großem Hallo freudestrahlend in die Stadt marschiert und übermütig mit mir auf der Gasse herumspringt. Bis einer von ihnen unvermittelt fragt: „Und was jetzt?“ Ja, was jetzt? Was jetzt, nach Wochen oder Monaten auf der Straße? Frei. Ohne Pflichten. Ohne Anpassung. Jeder hat sich verändert, ungewollt, unbewusst. Sind wir

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